Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
entschwand auch sie.
Mit großen Augen und klopfendem Herzen sah Lewis zu Herder hinüber, der sich festklammerte, um von der irrsinnigen Fahrt nicht durch den Innenraum geworfen zu werden. Er schien fieberhaft zu überlegen.
„Wir müssen hinaus“, schrie er über das Getöse der schreienden Menschen, donnernden Hufe und rasselnden Räder hinweg. „Wer weiß, wie diese Fahrt endet? Womöglich rasen wir alle in die Ilm und ertrinken jämmerlich!“
„Abspringen?“, schrie Hardenberg. „Du bist nicht bei Trost! Ganz wie das Volk dort draußen!“
Lewis sah aufgeregt von einem zum anderen. „Was, wenn wir versuchen, die Kutsche wieder in unsere Gewalt zu bekommen?“
„Auf den Bock klettern? Von hier aus?“ Hardenberg legte die Hand an die Stirn. „Matthew, du bist genauso verrückt wie Wilhelm, wie mir scheint!“
„Dann sag du, was zu tun ist!“, schrie Herder über den Lärm hinweg. „Jeden Augenblick kann etwas geschehen! So, wie diese Irrsinnigen lenken, kann die Kutsche jeden Moment umstürzen!“
„Zu spät“, rief Lewis noch, als er sah, wie die Flammen der Fackeln draußen mit einem Mal vom unteren Rande des Wagenfensters verschlungen wurden. Im selben Augenblick kippte der Boden zur Seite, und die drei jungen Männer flogen von ihren Sitzen. Mit entsetzlichem Krachen, Schreien und einem heftigen Ruck schleuderte der Wagen schräg in die Menschen am Rand der Gasse, scharrte mit den Rädern über das Pflaster und donnerte mit der oberen Kante gegen eine Hauswand. Schneematsch spritzte, Holzsplitter und Mörtelstücke flogen. Auf der Seite liegend kam die Kutsche zur Ruhe. Ein Pferd wieherte schrill durch die einige Herzschläge währende Stille, auch eine klagende Frau war zu hören, doch dann brandete das Durcheinander der Rufe und Gesänge wieder auf, und alle leisen Laute der Verzweiflung gingen darin unter.
Im Inneren des Wagens hielten sich Lewis und Hardenberg stöhnend die Köpfe, mit denen sie beim Sturz aneinandergeschlagen waren. Herder rieb sich die Schulter und bewegte den Arm in kreisenden Bewegungen. „Mir scheint, als sei uns genau das schon einmal widerfahren ...“
Lewis krächzte: „Immerhin sind dieses Mal keine schwarzen Reiter in der Nähe.“ Er blinzelte, da er glaubte, nicht richtig zu sehen, doch dann merkte er, dass sein unstetes Sichtfeld nur von dem zitternden Lichtschein herrührte, der in die Kutsche fiel.
Draußen strömte immer noch das Volk vorbei, ab und an traf ein Stockhieb geräuschvoll das Holz der Räder oder des Bodens, doch niemand schien sich um den halb umgestürzten Wagen zu kümmern. Plötzlich barst Holz, ein erneuter Ruck ging durch das Gefährt, und dann waren Wiehern und das Schlagen von Hufen zu hören, einige einzelne Rufe wurden laut.
Hardenberg horchte. „Ich denke, die Pferde haben sich von der gebrochenen Deichsel losgerissen. Immerhin scheinen sie heil.“
„Im Gegensatz zu uns“, ächzte Lewis. „Wir sollten aus diesem Kasten heraus, mir ist recht schwindelig.“
Herder nahm die Hand von seiner Schulter. „Ich glaube, es wäre keine gute Idee, uns der wütenden Menge auszusetzen ...“
„Vielleicht, wenn wir uns daruntermischen und auch freiheitliche Parolen skandieren ...“, begann Lewis unsicher, schüttelte dann aber selbst den Kopf, worauf er sich wieder hastig an die Schläfe griff.
Hardenberg hatte immer noch angestrengt gehorcht. Nun wandte er sich an die anderen. „Hört ihr, wie der Lärm abzuklingen beginnt? Es scheint, das Ende der Prozession nähert sich.“
„Natürlich“, bestätigte Herder. „Es konnte ja nicht ewig so weitergehen, selbst wenn ganz Weimar auf den Straßen wäre. Wir müssen nur warten, bis sich das närrische Volk an uns vorbeigewälzt hat, und dann können wir hinausklettern.“
Lewis wollte gerade zustimmen, als Hardenberg aufschrie und ihn beiseite stieß. Durch das über ihnen liegende Kutschenfenster stürzte plötzlich Feuer auf sie herab. Polternd und funkenstiebend fiel eine Fackel ins Innere, von draußen klang noch das wahnsinnige Lachen des Mannes, der den Brand geschleudert hatte und nun entwich.
Herder, Hardenberg und Lewis drängten sich von den Flammen fort, die rasch auf den Vorhang des nun untenliegenden Fensters übergriffen und nach den dreien züngelten. Scharfer Rauch stieg auf, nahm ihnen Sicht und Atem, dann trieben Feuer und Qualm sie hinaus, durch die Tür, die wie eine Dachluke klaffte und sie nun ins Freie entließ, auf die einsame Gasse
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