Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
der Geisterbeschwörer!“
Im entfernten Dunkel zeichneten sich drei flammende Linien ab, die ein unvollständiges Viereck bildeten. Sie verbreiterten sich und ließen erkennen, dass sie von der sich öffnenden Tür herrührten, durch deren Spalt Kerzenlicht hereinfiel. Schließlich erschien eine verhüllte Gestalt in dem Rahmen, die sich als Scherenschnitt von dem unstet hellen Hintergrund abhob. Bedächtig, feierlich trat sie vor, beschritt den Pfad, den das Licht auf das Parkett zeichnete. Die beiden Dienstboten, die in gemessenem Abstand mit mehrarmigen Leuchtern folgten, wurden vom weiten Kapuzenumhang verdeckt, der sich in der Bewegung bauschte.
Lewis bemerkte erstaunt, wie ruhig er war. Sicherlich lag es daran, dass diese gespenstische Erscheinung angekündigt und auch eindeutig einer Person zugeordnet war. So konnte er das ganze als Schauspiel und nicht als Bedrohung sehen, was ihn mit einem heimeligen Gefühl erfüllte. Er wollte sich nicht ganz eingestehen, dass seine beiden Sitznachbarn ihn weit mehr beschäftigten, als es der effektvolle Auftritt eines Unterhaltungskünstlers hätte tun können.
Jetzt hatte der Vermummte die Strecke des Vorraumes durchmessen und erschien in der Türöffnung des Gesellschaftsraums. Die Kerzen beleuchteten schwach das Innere seiner Kapuze, so dass die Anwesenden eine Andeutung seines Antlitzes erhaschen konnten. Lewis sah in der hellen Fläche in den Schatten die dunkleren Höhlen zweier Augen und einen breiten, grinsenden Mund, der sich weit über die Wangen schwang. Der Vermummte blieb stehen, seine Arme hingen herab, so dass er wie ein Torso wirkte, wie eine übergroße Schachfigur, die nur in grober Andeutung einer menschlichen Gestalt geschnitzt war.
Mittlerweile waren die Dienstboten mit den Kerzenleuchtern herangekommen, betraten hinter dem Mann den Raum und postierten sich zu seiner Rechten und seiner Linken.
„Guten Abend, Meister Leone“, sagte Bertuch plötzlich.
In diesem Augenblick teilten zwei Hände von innen den Umhang, warfen ihn über die Schultern zurück und streiften in derselben Bewegung die Kapuze nach hinten. Die anwesenden Damen gaben gedämpfte Laute des Schreckens von sich, während die Herren so diskret, dass es die Nebenperson nicht bemerkte, den Atem anhielten. Das Licht der Kerzen fiel auf ein bleiches Gesicht, dessen Augenbrauen sich in der Form steten Misstrauens wölbten. Die Augen lagen so tief in den Höhlen, dass sie auch jetzt beschattet waren, wie überhaupt alle Züge und Falten so tief ins Gesicht gegraben waren, als sei der Mann früher einmal beleibter gewesen und habe in jüngster Zeit viel Gewicht eingebüßt. Der breite Mund, den Lewis für ein Grinsen gehalten hatte, war ein weit ausgreifender, dunkler Schnurrbart, der tatsächlich den Kieferspalt eines Totenschädels nachzuahmen schien.
„Guten Abend“, sagte eine Stimme mit italienischem Akzent, die so schmeichelnd klang, dass sie dem Antlitz, aus dem sie kam, nicht entsprechen wollte. Als ihm einer der Diener den Umhang abnahm, bedankte er sich mit einem leise n „Grazie“. Leone trug einen nachtblauen Rock, der im immer noch schwachen Licht schwarz wirkte, dessen goldene Litzen, die dezent an den Aufschlägen angebracht waren, jedoch umso mehr funkelten. Mit grazilen Schritten, denen man bei genauem Hinschauen jedoch ansah, dass sie vormals einen schwereren Körper hatten tragen müssen, ging er auf die Herzoginmutter zu und verbeugte sich tief.
„Edle Frau, es ist mir eine Ehre, Sie und Ihre Gäste heute Abend mit meinen Künsten unterhalten zu dürfen.“
Anna Amalia nickte wohlgesonnen. Da machte Leone eine flinke Bewegung mit dem Handgelenk, und plötzlich hielt er eine Rose zwischen den Fingern. Eine schwarze Rose, die an den Rändern ebenso von Gold schimmerte wie der Rock des Magiers. Er überreichte sie der Herzoginmutter mit einer noch tieferen Verneigung als zuvor. Das Publikum war so überrascht, dass es erst jetzt einen Ausruf des Erstaunens hören ließ. Dann begann Bertuch, vehement zu klatschen, und die anderen folgten seinem Beispiel, außer Goethe, der die Hände still auf seinen Knien ruhen ließ.
Anna Amalia nahm die Rose. „Ich freue mich, Sie begrüßen zu dürfen, Signore Leone, und bedanke mich auch für dieses reizende Geschenk.“ Sie roch an der Rose und war offensichtlich erstaunt über deren Duft. „Nun, zeigen Sie uns weitere Beispiele Ihres Könnens.“
Leone trat zurück, bis ihn alle gut sehen konnten. Er verneigte sich
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