Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
Luft und dem Duft der Fichten umfangen, sog alles in sich ein und vertrieb mit einiger Mühe die letzten Gedanken an das Inferno. Schon wollte er wieder über den beängstigenden Traum grübeln, da wurde der Aufstieg steiler, und er musste achtgeben, nicht zu straucheln und mit Goethe Schritt zu halten. Schließlich kamen sie auf einen ebenen, grasbewachsenen Weg und folgten ihm bis zu einigen verwitterten Tränktrögen. Lewis sah sie sehnsüchtig an, denn es war ihm recht warm, und er verspürte Durst nach diesem Aufstieg. Doch Goethe munterte ihn auf und trieb ihn noch ein etwas steileres Stück hinan, wo eine Quelle sprudelte. Lewis trank gierig und benetzte sich Gesicht und Nacken, während Goethe schon weiterschritt.
Der Schwalbenstein klammerte sich hoch über dem Tal an einen Hangsturz. Eine roh gezimmerte Schutzhütte stand da, und Goethe baute sich neben ihr auf, blickte in die Landschaft.
„Schauen Sie! Muss man hier bei heiterem Wetter nicht einfach dichten? Ich konnte an einem einzigen Tag einen kompletten Akt eines Schauspiels verfassen. Aber das ist mehr als zwölf Jahre her.“
Lewis war außer Atem. „Ich erinnere mich“, begann er, „an das, was Sie in Tiefurt sagten. Dass Sie keinen Sinn mehr in der Dichtung sehen, nachdem die Revolution in Frankreich ausgebrochen ist. Dass Ihnen allein die Wissenschaft Ansporn für den Geist gäbe.“
Goethe presste die Lippen zusammen. „Ja. Ich sagte dies und will davon auch kein Iota abrücken. Aber schließlich zehrt der Mensch auch von der Erinnerung, nicht?“
Er blickte wieder in die Ferne. „Vielleicht kommen auch wieder andere Zeiten“, flüsterte er und schlug dann jäh wieder einen lebhaften Tonfall an. „Wer kann sich schon der Natur verschließen? Ob mit dem Blick des Dichters oder des Wissenschaftlers betrachtet, eine Augenweide ist sie allemal!“
Er wandte den Kopf, als suche er etwas. Dann hob er den Finger. „Hören Sie! Ein Waldlaubsänger, und dort ein Zilpzalp!“ Mit ein paar raschen Schritten war er unterwegs zu den Bäumen.
Lewis blieb noch ein Weilchen stehen und schaute über das Tal der Ilm auf den hellgrünen Wald des jenseitigen Berges.
Als sie wieder hinabgestiegen waren, fiel die Sonne schon schräg durch die Tannen. Der Geheimrat ließ es sich nicht nehmen, in den Lesesteinhaufen der Felder unterhalb der Manebachwand nach Kreuzottern zu forschen.
Lewis war es zufrieden, dass sich die Geschöpfe als genauso scheu erwiesen, wie Goethe sie beschrieben hatte, denn nach einer Begegnung mit Reptilien stand ihm nicht der Sinn. Vielmehr verspürte er nach diesem Bergausflug einen großen Appetit, und so stutzte er, als Goethe ihn vor dem Wirtshaus bat, doch draußen zu warten, während er selbst für einige Augenblicke hineinhuschte.
Er kam mit einem Säckchen über der Schulter wieder heraus. „Vesper“, meinte er knapp, als er Lewis’ fragenden Blick bemerkte.
„Aber warum können wir das nicht drinnen zu uns nehmen?“, fragte Lewis nach, als ihm aufging, was das fremde Wort bedeutete.
„Weil es dann zu spät würde, um noch bei anständigem Licht den Kickelhahn zu besteigen“, versetzte Goethe knapp und stapfte los.
„Aber Herr Geheimrat!“, rief Lewis. „Gute Güte! Noch ein Berg?“
„Kommen Sie“, sagte Goethe, ohne sich umzudrehen. „Sie sind um einiges jünger als ich, und Sie müssen zugeben, dass dies doch erheblich erquickender ist, als in Zimmern und Salons sich dem Gespräch hinzugeben! Wir halten Dialog mit der Natur!“
Lewis eilte hinter Goethe her. „Ich muss gestehen, dass mich meine Füße schmerzen, von den Beinen ganz zu schweigen.“
Goethe blickte kurz an Lewis hinab. „Das liegt daran, dass Sie nicht richtig gehen!“ Der Geheimrat schlug einen furchtbar schulmeisterlichen Ton an, der Lewis an Böttiger erinnerte. „Sie müssen mit dem ganzen Fuß auftreten. So.“ Er machte es vor, und Lewis schaute verdutzt. „Natürlich übertreibe ich jetzt, aber im Prinzip ist es so richtig! Nun los, machen Sie es einfach nach – Sie werden sehen, das hilft!“
Lewis kam der Aufforderung nach, und so schritten sie in jener seltsamen Gangart die Straße entlang. Als die beiden die Ilm-Brücke nach Kammerberg querten, begegnete ihnen ein Pferdefuhrwerk. Der Bauer und seine beiden Knechte schauten ungläubig auf das seltsam dahinschreitende Paar, und Lewis war ein weiteres Mal froh, dass er in diesem Land fremd und unbekannt war.
In Kammerberg angekommen berichtete Goethe vom dortigen
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