Der Mönch und die Jüdin
verständnisvoll. »Und doch habt Ihr natürlich vollkommen recht, Konrad. Es verbindet uns in religiöser Hinsicht viel mehr mit den Juden, als die Hassprediger wahrhaben wollen. Immerhin haben wir einen großen Teil unserer religiösen Schriften gemeinsam. Das Alte Testament ist den Juden ebenso heilig wie uns Christen. Und es gibt wunderbare Beispiele dafür, wie fruchtbar der Austausch zwischen jüdischen und christlichen Gelehrten sein kann! Ich hatte das große Glück, in Paris und in Cordoba an solchen Gelehrtengesprächen teilnehmen zu dürfen. Das hat meinen geistigen Horizont sehr erweitert. Die Juden sind nicht besser, aber auch nicht schlechter als wir. Viele von ihnen sind hochgebildet und weitgereist. Doch natürlich finden sich bei ihnen die gleichen Schattenseiten wie bei uns: Engstirnigkeit und ein starres Festhalten an Traditionen. Leute mit solcher Gesinnung gibt es hüben wie drüben.«
»Aber wenn die Juden uns so ähnlich sind, ist der Hass ja umso schwerer zu begreifen.«
»Im Volk gibt es viele Ängste«, sagte Gilbert. »Die einfachen Leute können nicht lesen und schreiben, ihr Horizont ist klein und eng. Es gibt so vieles, was sie nicht wissen und verstehen, und aus dieser Unwissenheit entsteht schnell Angst. Unwissenheit und Angst aber sind der Nährboden des Hasses. Dann muss nur noch ein begabter Prediger wie Radulf Feuer an das Reisig legen.«
»Aber dennoch: Warum gerade die Juden? Ist es, weil man ihnen vorwirft, dass sie unseren Heiland ermordet haben?«
Gilbert schüttelte traurig den Kopf. »Ja, das wird von Radulf und anderen Predigern gerne als Argument gegen sie benutzt. Aber ich fürchte, den Juden würde es bei uns auch nicht besser ergehen, wenn Jesus als alter Mann friedlich im Bett gestorben wäre. Sie haben nun einmal, trotz mancher Gemeinsamkeit, doch das Pech, anders zu sein. Sie praktizieren ihre eigene Religion, haben ihre eigenen Gotteshäuser, wo sie Rituale in einer fremden Sprache begehen. Das genügt, um üblen Gerüchten Nahrung zu geben. Das einfache Volk lebt in Angst und ohne Bildung, und solche Menschen fühlen sich ständig bedroht durch alles Fremde, Unverstandene – das können die Juden sein mit ihren geheimnisvollen Riten und Bräuchen, das können christliche Häretiker sein oder Kräuterweiblein, von denen man glaubt, dass sie das Vieh verhexen oder Hagelschlag herbeizaubern. Man tötet die Außenseiter, die verdächtigt werden, einen schädlichen, bösen Einfluss auszuüben.« Als Gilbert von Kräuterweiblein sprach, musste Konrad an Brigid denken. Auch sie war gefährdet, diesem Aberglauben des einfachen, ungebildeten Volkes zum Opfer zu fallen!
Gilbert seufzte. »Vermutlich würden diese Einfaltspinsel sogar Jesus erschlagen, wenn er heute unter uns wandeln und durch sein außergewöhnliches Wesen und seine Andersartigkeit ihren Argwohn erregen würde.«
Da näherte sich aus Richtung Bonn ein Reiter, und Konrad bemerkte noch etwas: Wie ein dünner Finger streckte sich über der kleinen Stadt eine graue Rauchsäule in den Himmel.
»Jetzt brennt die Bonner Synagoge, fürchte ich«, sagte Gilbert.
Zu Konrads Freude war es Anselm, der zu ihnen ritt. Gilbert und Konrad begrüßten ihn sehr erleichtert. Anselm befand sich in düsterer, gedrückter Stimmung.
»Dieser Feigling von einem Burgvogt hatte sich ängstlich hinter seinen dicken Mauern verkrochen! Und seine zehn Soldaten sind fürwahr ein jämmerlicher Haufen. Es ist wirklich eine Schande! In Köln werde ich Arnold umgehend über diese unmöglichen Zustände informieren. Jedenfalls wurde mir sofort klar, dass eine so erbärmliche und schlechtbewaffnete Schar es nicht mit dem Mob aufnehmen konnte. Die wären einfach niedergerannt worden. Also bin ich allein ins jüdische Viertel geritten, das am Nordtor liegt, gleich hinter der Stadtmauer. Die Juden waren vorgewarnt. Einige sind mit den Frauen und Kindern schon in der Nacht in die Wälder geflohen. Doch eine Gruppe junger und alter Männer weigerte sich, ihr Viertel zu verlassen. Sie hatten sich in der Synagoge verbarrikadiert und ließen sich von mir nicht zur Flucht bewegen. Draußen näherte sich schon der durch Radulf und seine Handlanger aufgehetzte Pöbel. Natürlich hätte ich bei ihnen bleiben und einige Angreifer mit in den Tod nehmen können.« Er klopfte auf den Griff seines Schwertes.
»Es wäre ein sinnloser Tod, ein sinnloses Opfer gewesen«, sagte Gilbert.
Anselm zeigte auf den Rauch, der in der Ferne aufstieg. »Jetzt
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