Der Mönch und die Jüdin
sein Pferd und versetzte einem von ihnen einen Hieb, der ihm fast den Arm vom Rumpf trennte. Blut spritzte hervor, und der Mann ging schreiend zu Boden. Das genügte offenbar, um die anderen etwas zur Besinnung zu bringen. Sie wichen ein Stück zurück, so dass die drei durch diese Lücke davonpreschen konnten.
Das war etwas anderes als der Übungsgalopp mit Brigid! Konrads Herz hämmerte. Steine flogen hinter ihnen her. Einer traf Anselm an der Schulter, konnte dessen mächtigen Muskeln aber nichts anhaben. Sie galoppierten auf das Südtor zu, weil es dem Kirchplatz am nächsten lag. Doch zu Konrads Schreck verlangsamte Anselm sein Pferd. »Reitet ihr zum Tor hinaus und um die Stadtmauer herum. Folgt dann der Straße weiter in Richtung Köln und wartet in sicherer Entfernung auf mich. Ich werde dem Vogt und seinen Männern Feuer unter den Ärschen machen.«
»Aber … sollen wir Euch nicht beistehen?« Trotz seiner Angst widerstrebte es Konrad, Anselm einfach im Stich zu lassen.
»Das ist gut gemeint und tapfer, aber ihr würdet mich nur behindern. Wartet vor der Stadt!« Damit preschte Anselm auf das Tor der Burg zu.
Hinter sich hörte Konrad immer noch das erregte Geschrei der Menge. Er wagte nicht, sich umzudrehen, und galoppierte hinter Gilbert her auf das Stadttor zu. Vagabundus schien ebenso viel Angst zu haben wie Konrad und jagte dahin wie der Sturmwind. Die Torwache sprang erschrocken zur Seite, als die beiden Reiter durch das Stadttor fegten.
Draußen ritten sie auf der dem Fluss abgewandten Seite im Bogen um die Stadt herum. Als sie außerhalb der Stadtmauer wieder an der Stelle, wo die Kirche stand, vorbeikamen, hallten Radulfs Tiraden, mit denen er die Menschen weiter aufhetzte, zu ihnen herüber. Selbst aus dieser Entfernung war seine gewaltige Stimme so furchteinflößend, dass Konrad innerlich bebte. Und wenn er für einen Moment die Augen schloss, konnte er Radulfs drohende Gesten und das markante Adlergesicht so klar und grell vor sich sehen, als hätten sie sich ihm in die Seele eingebrannt.
Gilbert sagte erregt: »Unglaublich, dass der Vogt nicht eingreift! Schon ein knappes Dutzend entschlossener, gutbewaffneter Ritter würden genügen, um der Menge Vernunft beizubringen. Der Erzbischof würde solche Hetze niemals gutheißen! Die Juden stehen schließlich unter dem Schutz der Kirche und haben verbriefte Rechte.«
Sie waren im Westen um Bonn herumgeritten und folgten, genau wie Anselm es ihnen beschrieben hatte, nun wieder in nördlicher Richtung der Straße nach Köln. Beklommen drehte sich Konrad im Sattel um und blickte noch einmal zurück auf die kleine Stadt, hinter deren Mauern der Hass wütete wie eine schreckliche Seuche.
S ANCTA C OLONIA
H inter Bonn öffnete sich das Rheintal zu einer weiten, fruchtbaren Ebene mit Viehweiden und Äckern, in der kleine Dörfer wie Inseln lagen. Am Rand eines Wäldchens, von wo aus sie freie Sicht auf das jetzt in sicherer Entfernung liegende Bonn hatten, warteten Konrad und Gilbert auf Anselm.
Obgleich vieles von dem, was Anselm sagte oder tat, Konrad unverständlich oder gar sündhaft erschien, bewunderte er doch Anselms Mut. Er hatte durch sein beherztes Eingreifen Gilbert nun schon zum zweiten Mal gerettet, so wie er Konrad und Matthäus vor den Räubern beschützt hatte. Zählte das nicht mehr als seine Ausschweifungen in der vergangenen Nacht? Konrad begriff nun, wie schwierig es doch war, in dieser Welt klare moralische Urteile zu fällen! In der letzten Nacht hatte Anselm Unzucht mit einer Dirne getrieben, und jetzt riskierte er Kopf und Kragen, um den Bonner Juden zu helfen.
Die Eindrücke des Vormittags lasteten schwer auf Konrad. Er hatte immer noch Radulfs donnernde Stimme im Ohr, sah seine beschwörenden Gesten und das kalte Leuchten in seinen Augen vor sich. Zum ersten Mal hatte Konrad erlebt, wie furchterregend eine Menschenmenge sein konnte, wenn ein Redner wie Radulf den Hass in seinen Zuhörern entfesselte.
Konrad hatte Angst um Anselm, der sich immer wieder in große Gefahren begab, um anderen zu helfen. Der Versuch, das Erlebte gedanklich zu verarbeiten, half ihm, etwas ruhiger zu werden, sich von der Sorge um Anselm abzulenken. »Gilbert, warum sind die Juden denn so verhasst?«, fragte er. »Sind sie schlechtere Menschen als wir? Jesus Christus selbst war doch Jude.« Er schüttelte bedrückt den Kopf. »Als ich das einmal zu unserem Bibliothekar Fulbert gesagt habe, wurde er schrecklich wütend.«
Gilbert lächelte
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