Der Mönch und die Jüdin
mit einer dröhnenden Verächtlichkeit. Erschrocken beobachtete Konrad, wie ein zustimmendes Raunen durch die Menge lief.
Abt Balduin war streng gewesen, doch stets hatte man hinter dieser Strenge seine große Liebe und Barmherzigkeit gespürt. Und wie viel christliche Liebe hatte Gilbert ausgestrahlt, als er auf der Wolkenburg über das Hohelied Salomos gesprochen hatte! Bei Radulf war von Liebe nichts zu spüren. Er schien ganz von der kalten Macht des Hasses durchdrungen. »Die Juden sind Gottes teuflischste Feinde, und damit sind sie auch unsere teuflischsten Feinde! Wisst ihr, was die Juden in ihren Synagogen treiben, verehrte Bürger von Bonn? Gott selbst hat es mir gesagt! Den Teufel beten sie dort an! Sie verhöhnen alles, was uns Christen heilig ist!«
Wieder wogte ein Raunen durch die Menge, jetzt noch lauter und empörter als zuvor. Die Stimmung auf dem Kirchplatz war beklemmend. In den Menschen, die sich hier versammelt hatten, schwelte dumpfer Hass, und Radulf war dabei, diesen Hass zu einem lodernden, alles verzehrenden Feuer anzufachen.
Anselm wirkte wie erstarrt. Gebannt hatte er zugehört und dabei langsam den Kopf geschüttelt. Als Radulf fortfuhr, verzog der Mönchsritter voller Abscheu das Gesicht. »Verfluchter Hassprediger!«, knurrte er leise.
»Und wisst ihr, was mir Gott noch gesagt hat? Ja, die Stimme Gottes hat zu mir gesprochen, und darum muss es wahr sein, denn Gott irrt niemals! Gott hat mir gesagt, dass diese Teufel in Menschengestalt, die Juden, dass sie christliche Kinder rauben, kleine, unschuldige Kinder. Und in ihren Synagogen, bei ihren satanischen Ritualen, bei denen niemals ein Christ zuschauen darf, da töten sie diese armen Kinder auf bestialische Weise und trinken ihr Blut! Ja, so wahr ich hier vor euch stehe, das hat Gott zu mir gesagt!«
»Dann stimmt es also!«, rief eine Frau entsetzt. »Diese Gerüchte, die sich immer mehr verbreiten. In England sollen diese schrecklichen Verbrechen geschehen sein und an anderen Orten. Wenn die jüdischen Teufel dort Kinder rauben und ermorden, dann kann es auch bei uns geschehen. Wehe uns!«
»Ja, Frau«, sagte Radulf. »Bei allen Heiligen, es ist die Wahrheit, dass die verfluchten Juden diese schändlichen Dinge tun!« Heftig gestikulierend und noch dröhnender als zuvor fuhr der Zisterziensermönch fort: »Und nun hört, was Gott, der Allmächtige, mir aufgetragen hat: Radulf, du bist mein neuer Apostel! Gehe zu den Menschen und verkünde ihnen meinen Willen: Der neue Kreuzzug soll hier beginnen. Nehmt Rache an denen, die das Blut meines geliebten Sohnes vergossen haben! Nehmt Rache an denen, die den Satan anbeten und eure geliebten Kinder töten, wie sie einst meinen Sohn getötet haben!«
Anselm löste sich aus seiner Erstarrung, sprang aus dem Sattel und sagte: »Hör zu: Es ist mir ein Rätsel, warum der Vogt nicht einschreitet. Radulf ist nicht befugt, hier vor der Kirche zu predigen. Aber ich will jetzt nicht zur Burg gehen und Gilbert allein lassen. Und dass du hinüberläufst, hat keinen Sinn, dich würde der Vogt nicht ernst nehmen. Bleib du also hier und pass auf die Pferde auf. Ich versuche, Gilbert davon abzuhalten, sich einzumischen.« Und schon eilte er in Richtung Kirchenportal.
Doch es war zu spät. Ein sichtlich erregter Gilbert sprang die Stufen hoch und rief auf Lateinisch: »Ihr sagt die Unwahrheit, Radulf! Es kann niemals die Stimme Gottes sein, die durch Euch spricht! Der Hass hat Euch verblendet. Aber unser Herr Jesus Christus hat die Liebe gepredigt, nicht den Hass. Er hat gelehrt, dass wir unsere Nächsten lieben sollen wie uns selbst, und hat damit alle Menschen gemeint. Er hat gelehrt, dass wir sogar denen Gutes tun sollen, die uns hassen. Doch die Juden hassen uns ja überhaupt nicht. Sie leben friedlich in unserer Mitte. Nach ihren eigenen Gesetzen in Bibel und Talmud sind ihnen Menschenopfer und Blutvergießen strengstens verboten. Die Behauptung, die Juden würden Kinder ermorden, ist ein absurdes Ammenmärchen. Es wird von dummen Menschen in die Welt gesetzt, die es nicht besser wissen. Kehrt zum Geist der Liebe zurück, Radulf! Was Ihr hier predigt ist zutiefst unchristlich!«
Der Benediktiner übersetzte das, was Gilbert sagte, korrekt ins Deutsche, ohne etwas zu verfälschen. Wahrscheinlich wagte er das nicht, weil man bei einer solchen Menschenmenge nie genau wissen konnte, wie viele Leute Latein verstanden.
Anselm hatte inzwischen die Stufen erreicht, eilte hinauf und stellte sich
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