Der Mönch und die Jüdin
schimmerndes Leuchten. Endlich war die Sicht wieder frei und klar, und vor Konrad breitete sich ein gewaltiges Meer von Mauern und Dächern aus. Konrad lauschte dem Poltern Tausender Karrenräder und Pferdehufe, dem Geklopfe der Zimmerleute und Schmiede, Hundegebell und einem schier unendlichen menschlichen Stimmengewirr. Das alles schallte ihm entgegen wie ein vielstimmiger Begrüßungsgesang.
»Schau, Konrad! Vor dir liegt Sancta Colonia!«, verkündete Anselm und fügte grinsend hinzu: »Eine der größten und verrufensten Städte der ganzen Christenheit.«
Staunend ließ Konrad seinen Blick über das Panorama Kölns schweifen. In der Mitte, wo die Stadt sich zu einem sanften Hügel erhob, ragte eine gewaltige Kirche empor, ein Gebäude von ehrfurchtgebietender Schönheit. Sie erschien Konrad unwirklich und traumhaft, besonders jetzt in diesem nassen, dunstigen Sonnenglanz. Und Konrad entdeckte noch mehr Kirchen, überall in der Stadt, und er stellte sich vor, wie gewaltig es wohl übers Land hallte, wenn die vielen Glocken all dieser Kirchen zur gleichen Zeit läuteten. Dort, wo das Häusermeer an den Fluss grenzte, ragten Hunderte Schiffsmasten in den Himmel.
Konrad saß auf Vagabundus' Rücken, hielt sich am Sattelknauf fest und blickte wie gebannt auf das bunte Treiben. Endlich lag das Wunder dieser Riesenstadt unmittelbar vor ihm. »Wie … faszinierend«, murmelte er leise.
E INE GEFÄHRLICHE B ANDE
A ls Hannah ihren Vater aus dem Kontor kommen sah, wusste sie sofort, dass es ihm nicht gutging. Joseph war blass, seine Hände zitterten. Rasch eilte sie zu ihm und nahm ihn beim Arm. »Was ist, Vater?«
»Ach, mein Täubchen«, sagte er leise, »die Gesundheit macht mir zu schaffen. Ich fühle mich heute etwas schwach in den Knien. Diese Schwäche beunruhigt mich. Das kannte ich früher nie. Immer fühlte ich mich frisch und stark.« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Alt werden ist kein wirkliches Vergnügen.« Er versuchte, ihr sein vertrautes, verschmitztes Lächeln zu zeigen, doch es wollte ihm nicht recht gelingen.
Sie sah, dass er ein Stück Papier in der Hand hielt. »Eine … schlechte Nachricht?«, fragte sie besorgt.
»Eben kam ein Bote von der erzbischöflichen Kanzlei. Stell dir vor, sie haben die gesamte Bestellung rückgängig gemacht!«
»Aber die Bestell-Liste wurde mir doch erst heute Morgen korrigiert, Vater. Wie können sie so schnell ihre Meinung ändern?«
Joseph seufzte müde. »Das verstehe ich auch nicht. Der Bote sagte, es gäbe eine neue Anordnung, dass meine Lieferungen ab jetzt unerwünscht seien.«
»Aber warum denn das?«, fragte Hannah fassungslos. »Du belieferst die Kanzlei doch schon seit Jahren, und immer waren sie mit deiner Ware zufrieden.«
»Berengar, der erste Kanzleisekretär, und ich sind immer bestens miteinander ausgekommen«, sagte Joseph. »Unser Verhältnis war bisher fast freundschaftlich. Es ist mir unerklärlich, was Berengar veranlasst haben könnte, kurzfristig den Lieferanten zu wechseln. Es sei denn, er hat eine Anweisung von ganz oben erhalten – vom Erzbischof persönlich.«
»Aber Erzbischof Arnold gilt als Freund der Juden. Er hat doch gerade erst unsere Rechte und Privilegien erneuert.«
Joseph wiegte den Kopf. »Das habe ich bisher auch geglaubt. Aber vor allem ist er natürlich Politiker. Ein alter Fuchs, der stets das tut, was ihm selber nützt.« Joseph straffte sich. »Na, jedenfalls habe ich beschlossen, dass ich jetzt in die Kanzlei gehe und mit Berengar spreche. Ich finde, er schuldet mir zumindest eine Erklärung – nach all den Jahren, die wir ihn jetzt schon zu seiner vollsten Zufriedenheit beliefern.«
Hannah, die sah, wie angeschlagen Joseph wirkte, versuchte, ihm das auszureden. »Vater, Ihr seht so müde aus. Wollt Ihr Euch nicht erst etwas ausruhen und neue Kraft schöpfen?« Es erschreckte sie, so etwas zu ihm sagen zu müssen. Immer war er ihr Fels in der Brandung gewesen. »Hat der Besuch bei Berengar nicht Zeit bis morgen?«
Joseph schüttelte den Kopf. »Ich will nur rasch meinen Mantel und meine Mütze holen. Es weht ein kühler Wind heute. Wird Zeit, dass der Frühling kommt.«
Besorgt erkannte Hannah, dass er sich wohl kaum dazu bewegen lassen würde, sich etwas hinzulegen und zu ruhen. »Aber Ihr werdet doch gewiss einen Diener mitnehmen?« Auf ihre jungen Hausdiener Simon und Aaron war stets Verlass. Onkel Nathan hatte Joseph seinerzeit davon abgeraten, die jungen Männer einzustellen, da beide aus
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