Der Mönch und die Jüdin
sind sie alle tot, fürchte ich. In solchen Fällen ist es schon öfter vorgekommen, dass der Pöbel einfach die Synagoge in Brand gesetzt hat. Dann sterben die Juden in den Flammen. Und die, die nach draußen fliehen, werden zu Tode geprügelt.«
Sie setzten den Ritt fort und hingen schweigend ihren Gedanken nach. Die Vorstellung, dass die Juden in der Synagoge bei lebendigem Leib verbrennen würden, erfüllte Konrad mit tiefem Entsetzen. Was für ein schrecklicher Tod! Und was würde mit jenen geschehen, die in die Wälder geflohen waren? Konnten sie jemals in ihre Häuser zurückkehren? Konrad betete still für Frieden und Versöhnung, aber er hatte das Gefühl, dass sein Gebet schwach und kraftlos war. Immer wenn die göttliche Hilfe besonders dringend gebraucht wurde, schien Gott sehr fern zu sein.
Irgendwann brach es ganz unvermittelt aus Anselm heraus: »Verflucht, warum habe ich Radulf nicht erschlagen, als ich die Gelegenheit dazu hatte? Als er dort vor der Bonner Kirche predigte, standen wir nur ein paar Schritte von ihm entfernt! Ich hätte ihm den Kopf mitsamt seinem widerlichen Schandmaul von den Schultern trennen sollen, das wäre fürwahr ein Dienst an der Menschheit gewesen!«
Die Frühlingssonne war hinter grauen Wolken verschwunden, und ein kalter Wind fegte über das weite Land der sich vor den Reitern ausbreitenden Kölner Bucht. Konrad zog seine Kutte enger um die Schultern. Für einen Moment wünschte er, Anselm hätte Radulf tatsächlich getötet. Doch dann erschrak er über diesen Gedanken. Mochte Radulf noch so schändlich predigen, er war und blieb ein waffenloser Mönch. Und einen wehrlosen Menschen zu töten, wäre letztlich ein feiger Mord gewesen, so schlimm Radulfs Tiraden auch sein mochten.
Gilbert sagte: »Welchen Nutzen hätte das gehabt? Die Menge hätte uns drei ergriffen und erschlagen. Und glaubt Ihr wirklich, dass sich nicht schon bald ein anderer fände, der an Radulfs Stelle predigt, was die Leute hören wollen? Volksverhetzer wie Radulf sind doch letztlich nur Sprachrohr für den Hass, der in den Köpfen der Menschen sowieso schon vorhanden ist.«
»Aber solange er nicht durch einen charismatischen Prediger wie Radulf aufgeweckt wird, ist dieser Hass … nun ja, nur wie ein schlafender Drache.« Konrad war selbst überrascht, sich solche Dinge sagen zu hören. Und er war überrascht, dass er Gilbert einfach so widersprach. Seltsamerweise erschien ihm das inzwischen ganz natürlich.
»Ja, das ist ein gutes Bild«, sagte Anselm. »Und wenn man diese charismatischen Prediger zum Schweigen bringt, schläft der Drache schon bald wieder ein, denn das einfache Volk ist an sich geistig träge. Es muss von außen bewegt und aufgestachelt werden.«
Gilbert nickte, und sagte dann: »Da ist noch etwas, das mich beschäftigt. Habt Ihr bemerkt, Anselm, das Radulfs Übersetzer ein Benediktiner ist?«
Anselm nickte grimmig. »Seltsam, wo doch Zisterzienser und Benediktiner traditionell nicht gut aufeinander zu sprechen sind. Na, vermutlich eint diese beiden ihr Hass.«
Davon, dass es gewisse Spannungen zwischen den Zisterziensern und dem älteren Orden der Benediktiner gab, hatte Konrad auch schon gehört. Das lag wohl daran, dass die Zisterzienser eigentlich als Gegenbewegung zu den Benediktinern der großen Abtei Cluny entstanden waren. Die Mönche, die den Zisterzienserorden gegründet hatten, warfen den Benediktinern Verweltlichung, Anhäufung von Reichtümern und Machtgier vor. Doch das lag schon Jahrzehnte zurück, und Konrad wusste nicht, ob dieser Konflikt heute noch eine wichtige Rolle spielte. In Neuwerth jedenfalls lebte man nach der Benediktinerregel und hegte zugleich große Sympathie für Bernhard von Clairvaux, das derzeitige Oberhaupt der Zisterzienser.
Dann setzte auch noch ein unangenehmer Sprühregen ein. Der Wind blies ihnen die kalten Tropfen ins Gesicht, so dass sie kaum etwas sehen konnten. Konrad fühlte, wie langsam aber sicher seine ganze Kutte durchnässt wurde. Er fröstelte. Lange Zeit ritten sie missmutig durch dieses unerfreuliche Wetter.
Inzwischen hatten sie eine große Wegstrecke zurückgelegt. Als Konrad schon gar nicht mehr darauf zu hoffen gewagt hatte, ließ der Regen nach. Sobald das Prasseln der Regentropfen geendet hatte, hörte Konrad weit voraus eine Art Brausen. Es war wie ein gewaltiger Choral, der sich aus sehr vielen verschiedenen Einzelklängen zusammensetzte.
Die Wolken rissen auf und die Sonne tauchte das weite, nasse Land in ein
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