Der Mönch und die Jüdin
außerdem ein Mädchen von vielleicht sieben, acht Jahren, das ebenfalls an einen Pfahl gebunden war. Das Mädchen wimmerte und schluchzte vor Angst. Und aus dem Scheiterhaufen unter ihren Füßen züngelten schon gierig die Flammen hoch.
Als Konrad mit einem jähen, atemlosen Ruck erwachte, sah er im Lichtschein der Kerze Anselms Gesicht. Anselm hatte die Kerze wieder angezündet und war dabei, Konrad mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn zu tupfen. Konrad war nassgeschwitzt, die Kleider klebten ihm am Körper. Schon lange hatte der Traum ihn nicht mehr so schlimm gequält.
Anselm wirkte sehr bedrückt und besorgt. So hatte Konrad ihn noch nie erlebt. »Du hast wohl schlecht geträumt«, sagte der Mönchsritter leise. »Geschieht das öfter?«
Konrad glaubte nicht, dass bislang außer Matthäus jemand von seinen Alpträumen wusste. Sie beide hatten darüber immer Stillschweigen bewahrt. Aber welchen Sinn hätte es gehabt, es jetzt noch vor Anselm zu verbergen, der doch ohnehin dem Kloster den Rücken gekehrt hatte? »Früher kam der Traum jede Nacht«, murmelte Konrad. »Jetzt nicht mehr so oft.«
»Das habe ich nicht gewusst. Versuche, noch etwas zu schlafen. Hab keine Angst. Du … bist nicht allein.«
Konrad empfand es als sehr beruhigend, dass Anselm bei ihm war. Bald fielen ihm die Augen wieder zu, und er sank in einen tiefen, traumlosen Schlaf bis zum Morgen.
I M P ALAST DES E RZBISCHOFS
A ls Konrad am nächsten Morgen mit Anselm hinunter in die Halle ging, wo beim Kamin, in dem ein helles Feuer prasselte, das Frühstück eingenommen wurde, fühlte er eine bleischwere Müdigkeit. Die Bilder des Traums waren noch nicht verblasst, und erst als er Hannah sah, ging es ihm besser. Wenn das überhaupt möglich war, fand er sie noch schöner und strahlender als am Tag zuvor. Als sie ihn anlächelte, senkte er verlegen den Blick. »Wie geht es Euch, Konrad?«, fragte sie. »Danke«, log er tapfer und höflich, »ich habe ausgezeichnet geschlafen.«
Sie schaute ihn einen Augenblick prüfend an, und er hatte das Gefühl, sie ahnte, dass er nicht die Wahrheit sagte. Während der allgemeinen Verabschiedung zog sie ihn inmitten des Stimmengewirrs zu sich heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich hoffe sehr, dass wir uns wiedersehen, Konrad. Hier habe ich ein kleines Geschenk für Euch.« Hannah gab ihm eine Muschel, die sehr schön geformt war und seidig grau schimmerte. Sie war größer als die Flussmuscheln aus dem Rhein. »Sie stammt aus dem Ozean. Ein Freund meines Vaters, ein Kapitän, hat sie mir einmal mitgebracht. Und jetzt möchte ich sie Euch schenken, weil Ihr genau so eine Sehnsucht nach dem Meer habt wie ich.«
Konrad bedankte sich gerührt, und sie umarmte ihn kurz und küsste ihn auf die Wange. Dieser Kuss sandte einen zugleich wohligen und beängstigenden Schauer durch seinen ganzen Körper. Wenn ich jemals wieder im Kloster Frieden finden will, darf ich Hannah nicht wiedersehen, schoss es ihm durch den Kopf.
Hannah begleitete sie bis zum Tor des Anwesens. Ehe die drei Reisenden zum Ende der Gasse gelangten und zum Platz der Synagoge abbogen, drehte sich Konrad noch einmal um. Hannah stand immer noch dort. Er winkte und spürte dabei ein ziehendes, sehnsüchtiges Gefühl im Herzen.
Der Palast des Erzbischofs lag vom jüdischen Viertel aus gesehen seitlich des Doms, so dass sie sich auf dem Domplatz nach rechts wenden mussten. Während sie ihre Pferde über den Domplatz führten – Reiten war hier nicht erlaubt –, erklärte ihnen Anselm, dass die große Tribüne für den morgigen Häretikerprozess errichtet worden sei. »So ist es hier bei solchen Prozessen üblich«, sagte er, »denn für das Volk sind sie ein unterhaltsames Spektakel.« Er grinste. »Ein bisschen wie die Gladiatorenkämpfe im alten Rom.«
Mit dem Prozess und seinen Hintergründen hatte Konrad sich gedanklich noch gar nicht beschäftigt. Er wollte Anselm gerade danach fragen, als der ihm ungewohnt feierlich in die Augen schaute, sich räusperte und sagte: »Weißt du, Konrad, jetzt reisen wie schon einige Tage zusammen. Ich fand es sehr mutig von dir, wie du gestern der jungen Jüdin geholfen hast. Was mich betrifft, habe ich längst das Gefühl, dass wir Freunde geworden sind, und darum fände ich es unpassend, wenn du mich weiterhin ehrerbietig mit Ihr ansprechen würdest.« Mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: »Zumal ich ja gar nicht so ehrenwert bin.« Damit wollte er wohl auf den Besuch im Badehaus anspielen. Er
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