Der Mönch und die Jüdin
robuster, draufgängerischer Kauffahrer vor als wie ein Geistlicher. Irgendwie fand sie es beruhigend, dass Konrad in Gesellschaft eines so weltgewandten Mannes reiste.
Ich muss mit ihm zum Hafen gehen, dachte sie. Wenn ich Konrad den Hafen zeige, wird er sein kleines Kloster vergessen und mit mir auf große Fahrt gehen wollen. Mit dieser Vorstellung schlief sie ein.
***
Anselm hatte eine Kerze angezündet, und sie saßen auf ihren Betten. »Gib's zu«, sagte Anselm leise, während er sich die Schuhe auszog, »die schöne Jüdin gefällt dir.«
Gefallen, dachte Konrad, darf mir denn eine Frau gefallen? Ich trage ein Mönchsgewand. »Wir … wir haben viele Gemeinsamkeiten entdeckt. Josephs Bibliothek ist wirklich ein Wunder. Dort könnte ich mich tagelang aufhalten.«
»Das wollte ich nicht wissen«, sagte Anselm. »Du hast dir doch wohl nicht nur Josephs Bücher angeschaut, oder?«
»Also, Hannah ist … ich meine …« Er merkte, dass er gar nicht in Worte fassen konnte, was in ihm vorging, wenn er an sie dachte. Er war sofort ganz aufgewühlt, wenn er nur ihren Namen aussprach.
»Du findest sie attraktiv. Das ist ja auch kein Wunder. Sie hat eine tolle Figur und ein schönes Gesicht. Und dann ist sie auch noch kultiviert und gebildet. Du bist ein Mann, Konrad. Es ist völlig normal, eine Frau wie Hannah anziehend zu finden.« Anselm legte sich auf sein Bett und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
»Aber … ich finde sie nicht anziehend, wie Ihr das ausdrückt«, sagte Konrad zögernd. Es widerstrebte ihm, überhaupt darüber zu sprechen. »Ich meine, so wie Ihr vielleicht die Hübscherinnen im Badehaus anziehend findet.«
Darauf ging Anselm nicht ein, sondern sagte: »Es gibt viele schöne Frauen in Köln, Konrad. Dir ist gerade mal eine von ihnen begegnet. Lass mich nur machen. Ich werde dir noch mehr Damen vorstellen, eine aufregender als die andere. Ich wette, so allmählich kommst du auch auf den Geschmack, was die weiblichen Reize angeht! Du kannst auch als Mönch auf deine Kosten kommen, wenn du es richtig machst. Du musst kein keusches, unsinnliches Leben führen. Du kannst die Schönheit der Frauen durchaus genießen.«
Anselm drehte den Kopf und warf Konrad einen prüfenden Blick zu, der ihm unangenehm war – als versuchte der Mönchsritter, in sein Herz zu schauen. »Nur Gefühlsverwirrungen kannst du dir nicht leisten. Bestimmte Gefühle darf ein Mönch nicht haben. Sonst ist er kein Mönch mehr und kann seine kirchliche Karriere in den Wind schreiben. Aber glaub mir, solche Gefühle bringen einem sowieso nur Verdruss. Ohne sie lebt es sich viel angenehmer.« Er gähnte. »So. Wir schlafen jetzt besser. Es ist schon spät. Morgen stelle ich dich dem Erzbischof vor.« Anselm blies die Kerze aus und fing schon bald an, leise zu schnarchen.
Empfinde ich denn für Hannah solche Gefühle?, fragte sich Konrad. Jedenfalls ging sie ihm nicht aus dem Kopf. Wenn er die Augen schloss, konnte er ihr Gesicht vor sich sehen und die Berührung ihrer Hand spüren. Ins Badehaus gehen und mit vielen Frauen Unzucht treiben, es so machen wie Anselm, das durfte man also als Mönch, solange es verstohlen und heimlich geschah. Aber was war mit dem Hohelied, mit Gilberts Interpretation dieser Bibelverse? Gilbert hatte kirchliches Lehrverbot erhalten.
Was tat man als Mönch, wenn man Gefühle hatte, die man nicht haben durfte? Anselm hatte es klipp und klar gesagt: Dann hörte man auf, Mönch zu sein. Mit diesen beunruhigenden Gedanken schlief Konrad ein.
In dieser Nacht wurde er zum ersten Mal auf ihrer Reise von seinem Alptraum heimgesucht. Und das Erschreckende war, dass ihm alles noch viel wirklicher und klarer erschien als jemals zuvor. Er hatte den grässlichen Geruch verbrannten menschlichen Fleisches in der Nase. Er sah die an den Pfahl gefesselte junge Frau so deutlich wie nie – wunderschön war sie und dem sicheren Tod ausgeliefert. Der Blick ihrer leuchtend grünen Augen bohrte sich regelrecht in ihn hinein. Das hasserfüllte, höhnische Gebrüll der Männer peinigte ihn, als würden sie mit gierigen Händen nach ihm greifen, um ihn in das unbarmherzig lodernde Feuer zu werfen. Und zum ersten Mal in all den Jahren veränderte sich das Traumgeschehen. Schemenhaft sah Konrad einen Mann, der sich laut schreiend auf die Männer stürzte und drei von ihnen mit dem Schwert erschlug. Und Konrad sah nicht nur die schöne Frau und den verbrannten Körper des kleinen Kindes, sondern jetzt bemerkte er
Weitere Kostenlose Bücher