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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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liebsten hätte er Hannahs Schönheit mit den poetischsten Worten gepriesen.
    Sie ahnte wohl, was er sagen wollte, denn sie lächelte still und strich ihm mit ihren schlanken Fingern in einer behutsamen Geste über seine linke Hand. Es war nur eine kurze Berührung, aber die zarte Wärme von Hannahs Haut schickte einen wohligen Schauer durch seinen Arm bis hinauf zum Herzen. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah. Sein Mund fühlte sich trocken an, und ihm wurde ganz seltsam im Magen.
    Hannah empfand seine Gegenwart offenbar als sehr angenehm. Sie erzählte ihm von ihrem griechischen Hauslehrer Synesios, den sie gerne in Athen besuchen wollte, und davon, wie sie jedes Mal, wenn sie zum Kölner Hafen gehen musste, von Fernweh gepackt wurde.
    »Ich habe die vielen Schiffsmasten gesehen, als wir von Bonn her in die Stadt ritten«, sagte Konrad. »Ich glaube, auch ich würde viel darum geben, auf einem dieser Schiffe mitfahren zu dürfen, hinaus aufs Meer und dann in ferne Länder.« In dem Moment, als er das aussprach, spürte er, dass es die Wahrheit war, auch wenn ein Teil von ihm leise rief: Bist du verrückt? Du musst zurück ins Kloster, dorthin, wo du sicher aufgehoben bist und deinen festen Platz hast!
    »Oh, ja, ich auch«, seufzte Hannah. »Aber ich fürchte, das wäre derzeit gar nicht möglich. Mein Vater braucht mich hier im Kontor. Es geht ihm gesundheitlich leider nicht gut.« Sie schwieg einen Moment bedrückt, dann hellte sich ihr Gesicht auf, und sie sagte: »Wisst Ihr, dass es mir so vorkommt, als würden wir uns schon lange kennen, Konrad? Wir haben so vieles gemeinsam.« Dann begann sie, ihm schwärmerisch von den Städten zu erzählen, die sie gerne mit eigenen Augen sehen wollte – Rom, die Ewige Stadt mit ihren Gebäuden aus der ruhmreichen Antike; das prachtvolle Venedig, von wo aus die großen Handelsschiffe das ganze Mittelmeer durchfuhren; Cordoba, wo die Weisheit des Islam, des Judentums und der griechisch-römischen Antike eine glückliche Ehe eingegangen waren und die menschliche Kultur in voller Blüte stand; Konstantinopel, das Rom des Ostens, diese märchenhaft reiche Stadt voller Kirchen und Paläste …
    Irgendwann legte Hannah ihre Hand auf seine, und wieder durchströmte Konrad diese verwirrende Wärme. Durfte sich ein angehender Mönch von einer Frau so berühren lassen? Eine Sekunde lang verspürte er den Impuls, seine Hand wegzuziehen. Aber das süße, aufregende Gefühl in seinem Herzen war stärker. Weiter geschah ja gar nichts, außer dass ihre Hand auf seiner lag. Hannah erzählte, und der Klang ihrer Stimme war wie Musik. So lebhaft schilderte sie ihm exotische Landschaften und Wunderwerke menschlicher Baukunst, so plastisch beschrieb sie ihm all das, was sie nur aus Büchern und den Reiseberichten ihres Vaters kannte, dass ein Strom farbenprächtiger Bilder vor seinem inneren Auge vorbeizog. Ihm war plötzlich, als ritte er auf Vagabundus' Rücken von Köln bis ins Morgenland.
    ***
    Hannah hörte ihre leisen Schritte und die Schritte Konrads neben sich, während sie die Treppe zur Halle hinabstiegen. Hannahs Atem ging schnell, und ihre Gedanken wirbelten aufgeregt durcheinander. Eigentlich war gar nicht viel geschehen. Sie hatten nur zusammen in der Bibliothek am Fenster gesessen, und sie hatte so viel erzählt – war es nicht schrecklich unhöflich, so viel zu erzählen, so dass der arme Gast gar nicht zu Wort kam? Doch Konrad hatte glücklich gewirkt, als er ihr zuhörte. Schließlich hatte er fast sein ganzes Leben in diesem kleinen, einsamen Kloster verbracht. Hannah hatte immerhin die Erzählungen ihres Vaters gehabt und den stetig wachsenden Schatz seiner Bücher. Konrad hatte ihr schüchtern, zögernd erzählt, dass er sich an seine Kindheit vor der Zeit im Kloster überhaupt nicht erinnern konnte. Das fand sie geheimnisvoll und anrührend zugleich.
    Auf der Innenfläche ihrer rechten Hand spürte sie immer noch die Wärme seiner Berührung. Als er seine Hand nicht weggezogen hatte, war ein Freudenschauer in ihr aufgestiegen, und sie hatte einfach immer weiter reden und erzählen müssen, weil sie gar nicht wusste, was sie sonst mit sich und ihm hätte anfangen sollen. Während sie nun die Stufen hinunterstiegen, schweiften Hannahs Gedanken für einen Moment in die Ferne. Sie sah sich mit Konrad an ihrer Seite auf einem Hügel stehen. Mit Olivenhainen bewachsene Hänge fielen sanft zum leuchtenden Blau des Mittelmeers ab. Da waren die prächtigen weißen Mauern einer

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