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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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schöpfen konnte.
    Leise stieg sie die Treppe hinunter. Sie hatte sich ein großes Kopftuch umgebunden, damit ihre schwarzen Haare nicht so auffielen. Zwar gab es auch Christinnen mit schwarzem Haar, aber es war bei ihnen eher die Ausnahme, die meisten waren blond oder braunhaarig. Woran hätte man sonst erkennen können, dass sie Jüdin war? Sahen die Gesichter der Juden so anders aus als die der Christen? Kleideten sie sich anders? Nein.
    Aber Hannah hatte Angst, Godefrid Hardefust und seinen Leuten zu begegnen oder diesem widerwärtigen Burschen vom Hafen, der sie vorgestern Morgen auf dem Domplatz erkannt hatte. Als sie durch die Halle schlich, kam Simon aus der Küche. »Herrin …«, flüsterte er. »Ich wusste, dass ihr Euch so früh davonschleichen würdet. Euer Vater würde Euch sonst nicht zum Prozess gehen lassen. Und Ihr wollt dorthin, um Konrad zu treffen.«
    Nun war alles vergebens. »Jetzt wirst du bestimmt meinen Vater wecken«, flüsterte sie zurück. »Das kann ich verstehen, denn es ist deine Pflicht.«
    »Nein, ich komme mit.«
    »Du …?« Simon überraschte sie immer wieder.
    Er schlug die Jacke zurück. Ein Dolch kam darunter zum Vorschein, obwohl es den Juden eigentlich verboten war, Waffen zu tragen. »Ich komme mit und beschütze Euch, Herrin.«
    »Aber du wirst schrecklichen Ärger mit meinem Vater bekommen.«
    »Euer Vater würde noch wütender sein, wenn er erfährt, dass ich Euch nicht beschützt habe.«
    Das war eine bestechende Logik, und so verließen sie gemeinsam das Haus und gingen durch die so früh am Morgen noch relativ stillen Gassen des jüdischen Viertels. Als sie an Shimons Herberge vorbeikamen, sah Hannah, dass Salomon ben Isaaks Reisewagen noch im Hof stand. Ihr wäre es lieber gewesen, Salomon wäre gestern noch nach Speyer aufgebrochen, aber heute Morgen würde er gewiss abreisen. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen und beschloss, nicht mehr an diesen Mann und an die Zukunft zu denken, die er ihr angeboten hatte.
    Allmählich erwachte im Viertel das Leben. An den ersten Geschäften und Werkstätten wurden die Läden hochgeklappt. Alles war so friedlich und alltäglich. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass es nicht auch morgen, übermorgen oder in hundert Jahren so sein würde. Hannah zog ihre Jacke enger um die Schultern. Bald ging die Sonne auf. Dann würde es wärmer werden.
    ***
    Wie es bei öffentlichen Prozessen üblich war, fand zuvor im Dom eine Messe statt. Arnold hatte Gilbert gebeten, die Messe zu zelebrieren und sich damit zugleich als neuer geistlicher Lehrer an der Domschule einzuführen. Wieder fand Konrad Gilberts Predigt tief bewegend, wie schon bei der Trauermesse für den getöteten Botenreiter auf der Wolkenburg. Er verstand es einfach großartig, unmittelbar zu den Herzen der Menschen zu sprechen. Dabei warb er für Toleranz und dafür, dass die Beschuldigten bei dem Prozess eine faire Chance erhalten sollten, ihre Position darzulegen, und dass man nicht vom Standpunkt der menschlichen, sondern der göttlichen Gerechtigkeit über sie urteilen solle.
    Als Gilbert geendet hatte, empfand Konrad noch mehr Hochachtung und Zuneigung für den Magister theologicae als je zuvor. Er wusste, es würde ihn stolz machen, Gilbert im Kloster zu dienen. Vielleicht durfte er ja sogar hier in Köln an der Domschule sein Schüler werden. Aber dann tauchte gleich wieder Hannah in seinen Gedanken auf. Ob Gilbert Verständnis für Konrads Gefühle hätte, wenn Konrad ihm davon erzählte? Gilbert schien für alles Verständnis zu haben.
    Während die Gläubigen aus dem Dom strömten, folgte er Anselm in die Sakristei. Er war dankbar, nicht allein im Chorgestühl zurückbleiben zu müssen. Diese Kirche war so groß und gewaltig, dass man sich darin, wenn sie nicht mit vielen Menschen gefüllt war, schnell verloren vorkam. Auch der Erzbischof war in die Sakristei gegangen und besprach sich dort mit Anselm, Gilbert und dem Seneschall, dem höchsten Hofbeamten. Dieser kleine, übernervös wirkende Mann war, obwohl Geistlicher, ähnlich prunkvoll ausstaffiert wie der Erzbischof. Dann kam auch der Probst Everwin hinzu, der die öffentliche Befragung der Häretiker vornehmen sollte. Everwin war ein hagerer Mann mit ernstem, strengem Gesicht, der Konrad ein wenig an Fulbert erinnerte.
    »Und wenn wir doch noch einen Rückzieher machen und die Befragung verschieben, sagen wir um eine Woche?«, fragte der Seneschall und zupfte unruhig an seinem Gewand herum. »Die Stimmung im

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