Der Mönch und die Jüdin
Anselm und Gilbert zu. Augenzwinkernd flüsterte er: »Du hast gestern Abend wirklich was verpasst! Aber vielleicht kommst du ja in den nächsten Tagen doch mal mit.« Konrad hatte ganz entschieden nicht die Absicht, dieser Einladung zu folgen, lächelte aber höflich.
Als der Seneschall vorhin die Zahl achthundert genannt hatte, war Konrad überhaupt nicht in der Lage gewesen, sich eine solche Menschenmenge überhaupt vorzustellen. Jetzt sah er, dass der ganze Domplatz bis in den letzten Winkel mit Schaulustigen gefüllt war. Noch nie im Leben hatte Konrad so viele Menschen versammelt gesehen, selbst der wütende Mob vor der Bonner Kirche war im Vergleich dazu nur ein kleines Häuflein gewesen. Schon die bloße Gegenwart dieses wogenden Meeres aus unzähligen Köpfen und Schultern machte ihm Angst und bewirkte, dass sich sein Magen zusammenzog und seine Handflächen kalt und feucht wurden.
Nun wurden die Häretiker auf die Tribüne geführt. Ein Raunen lief durch die Menge wie ein brausender Wind. Zum ersten Mal bekam Konrad diese Menschen zu Gesicht: zehn Männer und Frauen unterschiedlichen Alters, deren Handgelenke gefesselt waren. Alle sahen sie mager und abgehärmt aus, mit zerlumpten Kleidern und verfilzten Haaren. Konrad wusste nicht, ob ihr Zustand auf die zweiwöchige Haft im erzbischöflichen Kerker zurückzuführen war oder auf ihre religiöse Askese.
Streng bewacht von fünf grimmig dreinblickenden Soldaten mussten sie auf der Tribüne Platz nehmen, auf harten Holzbänken schräg gegenüber von Arnold und seinem Gefolge. Konrad schaute wieder ängstlich auf die brodelnde Menschenmenge. Da entdeckte er Hannah.
Gar nicht weit von ihm entfernt stand sie, vielleicht fünfzehn Schritte von der Tribüne aus. Sie hatte sich einen Platz ganz vorne erkämpft, und Konrad wusste sofort, dass sie nicht gekommen war, um die Häretiker zu sehen. Der Blick ihrer wunderschönen Augen ruhte auf ihm, und als sie sah, dass er sie bemerkt hatte, erschien ein strahlendes, aber auch sehnsuchtsvolles Lächeln auf ihrem Gesicht. Konrad versuchte es zu erwidern, aber er war vor Angst und Nervosität ganz verkrampft, so dass sein Lächeln vermutlich schrecklich schief und zittrig aussah. Hannah hatte ihr schönes tiefschwarzes Haar unter einem Tuch verborgen, und neben ihr stand ihr Diener Simon, der die ganze Zeit wachsam die Umgebung beobachtete. Es beruhigte Konrad etwas, dass sie nicht ganz allein dort unten stand, und doch hätte er sie am liebsten zu sich auf die Tribüne geholt, damit sie, falls es zu Tumulten kam, unter dem gleichen Schutz stand wie die hohen geistlichen Herren.
Arnold drehte sich kurz um, nickte Anselm und den anderen Beratern zu und erhob sich. Er trat einen Schritt nach vorn und breitete die Arme aus. »Volk von Köln! Ich, euer Erzbischof, habe euch zusammengerufen, damit ihr, wie es Brauch ist, dieser Befragung als Zeugen beiwohnt. Wir werden heute jenen Unglückseligen dort« – er zeigte auf die zerlumpten Gestalten – »den Prozess machen. Sie werden beschuldigt, unseren Herrn Jesus Christus gelästert und die Autorität der heiligen römischen Kirche in Frage gestellt zu haben. Wir werden ihnen heute Gelegenheit geben, sich vor dem Volk zu den Anschuldigungen zu äußern und gegebenenfalls öffentlich zu bereuen. Dann werden wir über sie zu Gericht sitzen und nach göttlichem Ratschluss ein Urteil fällen. Wir haben den ehrwürdigen Probst des Klosters Steinfeld dazu ausersehen, die Unglückseligen zu befragen. Everwin, waltet Eures Amtes!« Er setzte sich wieder hin.
Da Konrad nicht weit von ihm entfernt saß, konnte er sehen, wie Arnold der Schweiß über den fleischigen Nacken rann. Ein begnadeter Redner war der Bischof weiß Gott nicht. Seine hohe, dünne Stimme trug nicht weit. Konrad bezweifelte, dass ihn außer den Schaulustigen in den ersten fünf Reihen irgendjemand auf dem Platz verstanden hatte. Da half es auch nichts, dass Arnold, statt Lateinisch zu sprechen, das rheinische Volksdeutsch benutzt hatte.
Konrad spürte Hannahs Blick auf sich, drehte den Kopf und lächelte ihr zu. Er musste sich eingestehen, dass es ihn sehr freute, sie so schnell wiederzusehen. Jetzt trat Everwin vor. Mit deutlich vollerer und kräftigerer Stimme als der Erzbischof rief er: »Christenmenschen von Köln, es gibt nur einen Weg, der zu Seelenheil und Erlösung führt: die Sakramente der heiligen römischen Kirche. Wer versucht, einen Keil zwischen die Kirche und die Gläubigen zu treiben,
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