Der Mönch und die Jüdin
dann winkte er Konrad dicht zu sich heran. Sein schwerer Atem schlug Konrad entgegen. »Ich werde dir jetzt ein offenes Geheimnis verraten. Offene Geheimnisse sind solche, die jeder kennt, über die man aber trotzdem nur hinter vorgehaltener Hand spricht.« Wieder grinste Anselm. »Nirgendwo wird so viel getratscht wie in einem Bischofspalast – ein Kloster vielleicht ausgenommen.«
»Aber in Neuwerth …«
Anselm hob die Brauen. »… wird nicht getratscht? Konrad, das weißt du besser.«
Nun, das stimmte. Wenn Konrad ehrlich war, musste er zugeben, dass die Neuwerther Mönche gern und ausgiebig über Leute gesprochen hatten, die gerade nicht anwesend waren, auch wenn Balduin derlei übles Gerede immer gerügt hatte.
»Pah«, sagte Anselm, »Mönche sind geschwätzig wie alte Waschweiber und lieben es, die Köpfe zusammenzustecken und sich das Maul zu zerreißen!« Er trank seinen Pokal leer, goss dann Konrad und sich den Rest aus der Karaffe ein und hielt Konrad den anderen Pokal hin. »Los, trink! Wenn du dich hier am Bischofshof behaupten willst, musst du saufen lernen! Die wichtigsten Gespräche finden bei ausgedehnten Saufgelagen statt.«
Konrad nippte nur an dem Wein. Er war stark und schwer, viel stärker als der Wein im Kloster. Ich will nicht saufen, dachte er.
»Er ist sein Sohn«, sagte Anselm.
»Wer? Wessen Sohn?«
»Malachias. Malachias ist Arnolds Sohn.«
»Der Erzbischof hat …«
»Wenn du nachrechnest, wird dir natürlich klar, dass Arnold noch nicht Bischof war, als Malachias geboren wurde. Aber er war damals bereits ein hoffnungsvoller Kirchenprobst mit großen Karriereplänen. Und auch ein Probst darf natürlich keine Frau schwängern, oder sich jedenfalls nicht dabei erwischen lassen. Malachias ist bei einer verarmten Base Arnolds und deren Mann aufgewachsen, er trägt auch dessen Namen. Arnold hat die Zieheltern dafür großzügig entlohnt.«
»Aber wieso hat er denn den Jungen dann ausgerechnet hier in seinen Palast geholt?«, fragte Konrad verwirrt.
»Offiziell weiß natürlich niemand von der Vaterschaft. Und dass er dem Sohn einer Verwandten hier im Palast eine Chance gibt, ist doch normal.« Nach kurzem Nachdenken fügte der Mönchsritter hinzu: »Weißt du, er hat einen richtigen Narren an dem Jungen gefressen. Er liebt ihn über alles und verwöhnt ihn. Deswegen ist er wohl manchmal nicht sehr objektiv, was Malachias' Fähigkeiten angeht.« Er lachte. »Ich glaube, heimlich träumt er davon, dass Malachias eines Tages Papst wird. Aber ich fürchte, da wird nichts draus. Der Junge geht nachts zu oft zu den Dirnen. Wenn er so weitermacht, holt er sich früher oder später den Aussatz.«
Der Aussatz war eine schreckliche Krankheit, gegen die es kein Heilmittel gab. Ein solches Schicksal wünschte Konrad niemandem, auch nicht dem ärgsten Sünder. »Malachias ist also der Sohn des Erzbischofs«, wiederholte er in der Hoffnung, er könne es besser begreifen, wenn er es laut aussprach.
Anselm nickte und legte einen Finger auf die Lippen. »Aber, psst! Nicht weitersagen – du weißt ja: offenes Geheimnis.«
Dann brüllte er so laut, dass Konrad zusammenzuckte: »Diener!«
Nebenan polterte es, und einen Moment später öffnete ein älterer, spindeldürrer Mann die Tür. »Ja, Herr?« Er blinzelte aus verschlafenen Augen. Offenbar war der arme Kerl eingenickt. »Räum das Durcheinander hier ab, bring neuen Wein und Leckereien. Du weißt schon, wir erwarten noch Gäste.«
»Ja, Herr, sofort, Herr.«
Als der Diener mit den Fleischresten und leeren Karaffen verschwunden war, fragte Konrad: »Gäste? Wer kommt denn jetzt noch?«
»Arnold meint es immer gut mit seinen Freunden. Er hat ein besonderes Begrüßungsgeschenk für uns.«
Als Konrad das Funkeln in Anselms Augen sah, keimte in ihm ein schlimmer Verdacht.
»Doch nicht etwa …«
»Man muss nicht unbedingt ins Badehaus gehen, um einen vergnüglichen Abend zu verbringen. Jedenfalls nicht, wenn man in Arnolds Palast zu Gast ist.«
»Er schenkt uns Frauen? Solche Hübscherinnen wie im Badehaus?« Konrad war fassungslos.
»Na, ich will doch stark hoffen, dass sie hübsch sind! Aber da mache ich mir keine Sorgen. Was die Weiber angeht, hat Arnold einen vorzüglichen Geschmack.«
Konrad schüttelte den Kopf. »Nein … bitte … ich will das nicht.«
Anselms Gesichtsausdruck veränderte sich. Er musterte Konrad aufmerksam, ohne jedes spöttische Funkeln in den Augen. »Na gut. Ich werde dich zu nichts zwingen. Aber wie
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