Der Mönch und die Jüdin
willst du erfahren, was die Frauen unter Mieder und Rock zu bieten haben, wenn du nie nachschaust?«
Konrad blickte zu Boden, wich Anselms Blick aus.
»Nein? Also gut. Aber wir können nicht eine der beiden fortschicken. Arnold wäre gekränkt, wenn du sein Geschenk zurückweist.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Konrad und dachte besorgt an die magere Dirne im Badehaus, die über ihn herfallen wollte.
Anselm grinste. »Ich nehme sie beide.« Er wedelte mit der Hand. »Los! Geh in dein Zimmer. Ich wette, sie kommen gleich.«
Konrad flüchtete durch den Durchgang in sein Zimmer und zog rasch den Vorhang hinter sich zu. »Du wirst früher oder später auch noch auf den Geschmack kommen«, rief ihm Anselm hinterher.
Konrad ging ans Fenster und schaute hinaus. Der Mond war aufgegangen und schimmerte silbern über dem endlosen Dach des Doms. Ob Gilbert noch dort drüben betete? Er merkte, dass er sich Anselm immer weniger nah fühlte. Gleichzeitig erschien ihm Gilbert, der sich wenigstens ernsthaft bemühte, Christus nachzufolgen, mehr und mehr als leuchtendes Vorbild.
Bald darauf hörte er auf dem Flur leise Schritte, und es klopfte an Anselms Tür. Da waren zwei Frauenstimmen, leises Kichern, Kleider raschelten. Anselm machte galante Bemerkungen, und die Frauen lachten vergnügt. Der Diener kam und ging wieder. Wein wurde eingeschenkt. Man plauderte zu dritt. Schließlich knarrte Anselms Bett. Konrad hörte Flüstern, Seufzen und Stöhnen. Das Bett knarrte lauter. Konrad kroch in sein eigenes Bett – ein großes, geradezu fürstliches Lager mit sauberen, duftenden Laken – und zog sich die Decke über den Kopf. Hoffentlich ging das jetzt nicht jeden Abend so!
Plötzlich musste er ganz intensiv an Hannah denken. Sie war vollkommen, an ihr gab es nichts Unreines. Sie war kein Kind der Finsternis, sondern ein Kind des Lichts, das wusste er.
F EGEFEUER
M an kann drohendes Unheil nicht am Wetter ablesen. Zwar war es früh am Morgen wieder ziemlich kalt, so dass es Hannah fröstelte, als sie nach dem Aufstehen leise die Fensterläden öffnete und hinausblickte. Doch der Himmel war wolkenlos, und sanfte Morgenröte überzog den Horizont. Über Nacht war die Angst gekommen, sie könnte Konrad vielleicht niemals wiedersehen. Würde er sie wirklich besuchen kommen? Jetzt, in dieser Zeit, wo die Stimmung in der Stadt sich immer mehr gegen die Juden wendete? Anselm von Berg und Gilbert von Nogent schienen keine Vorurteile zu hegen und sogar Freunde der Juden zu sein, doch würden sie Konrad nicht davon abraten, Hannahs Nähe zu suchen? Musste nicht jeder vernünftige Rat lauten, den Kontakt abzubrechen, wenigstens einstweilen?
Aber sie wollte Konrad so gerne sehen, sie sehnte sich nach der Schönheit seiner großen, nachdenklichen Augen und nach seinen zarten Händen. Sie wusste, dass Anselm von Berg und Gilbert von Nogent zum Gefolge des Erzbischofs gehörten, Anselm war sogar dessen Marschall. Bei dem Prozess würde der Erzbischof mit seinem Gefolge oben auf der Tribüne sitzen. Es gab also die Chance, dass auch Konrad dort oben bei ihnen sitzen würde. Wenn sie früh in die Stadt ging und sich einen Platz in der ersten Reihe gleich vor der Tribüne sicherte, konnte sie ihn vielleicht sehen. Sie würde einfach nur dort unten stehen und ihn betrachten. Und vielleicht würde er sie entdecken, dann konnten sie einander zulächeln.
Ihr Vater würde ihr niemals erlauben, auf den Domplatz zu gehen. Es gab nur eine Möglichkeit: Sie musste sich jetzt, wo noch alle schliefen, leise aus dem Haus stehlen. Eilig schrieb sie im Licht der Morgendämmerung eine Nachricht auf ein Stück Papier, sorgsam bedacht, Rebekka dabei nicht aufzuwecken.
Vater, sorge dich nicht um mich. Jahwe wird mich beschützen. Bitte lass nicht nach mir suchen. Vertraue mir. Ich kehre am Abend wohlbehalten zurück. In Liebe. Hannah. Ihr Vater würde sich große Sorgen machen, das wusste sie. Aber sie konnte es ihm nicht ersparen. Wo sonst sollte sie Konrad begegnen? In den erzbischöflichen Palast würde man sie, die Jüdin, bestimmt nicht vorlassen. Und vielleicht reiste er schon gleich am nächsten Tag mit Gilbert von Nogent in sein Kloster zurück, und sie würde ihn niemals wiedersehen.
Sie stahl sich aus der Schlafkammer und steckte den Zettel an die Tür zur Bibliothek. Dort würde Joseph ihn auf jeden Fall finden, denn am Morgen führten ihn seine Schritte immer zuerst dorthin. Das war der Ort, wo er sich sammeln und Kraft für den Tag
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