Der Mönch und die Jüdin
konnte niemals Ritter werden. Es gab eine festgefügte Ordnung, in der jeder genau wusste, wo sein Platz war.
Anselm grinste, breitete die Arme aus und sagte herausfordernd: »Also los! Spicke mich mit Fragen, wie die Sarazenen die braven Kreuzritter mit Pfeilen spickten! Deshalb bist du doch hergekommen, oder etwa nicht?«
Konrad zögerte und fühlte sich ziemlich unwohl in seiner Haut. Aber dann formulierte sich in seinem Kopf eine Frage, sie flog ihm einfach zu wie ein Vogel, der sich auf einen Zweig setzt. Und eine Frage zog weitere nach sich. Zögernd sagte er: »Dieser Abaelard … ich habe seinen Namen noch nie gehört. In den Briefen des Bernhard, die ich bisher übersetzen musste, wird er nie erwähnt. Wer ist er? Und wieso hat Fulbert so sonderbar reagiert, als er hörte, dass unser neuer Abt ein Schüler Abaelards ist?«
Anselm nickte. »Gut gefragt! Erstens: Wer war er. Abaelard ist nämlich vor drei Jahren gestorben. Im Kloster von Cluny, in das er sich zurückziehen musste, nachdem Papst Innozenz ihm ein Lehrverbot auferlegt hatte und alle seine Bücher verbrennen ließ – übrigens auf Betreiben ebenjenes Bernhard von Clairvaux, dessen Briefe du so fleißig kopierst.«
»Abaelard hat also Irrlehren vertreten, die Bernhard und der Papst nicht gutheißen konnten …«
»Also wirklich, Konrad! Jetzt redest du wie Fulbert oder der selige Balduin.«
»Aber wir sind doch alle zum Gehorsam gegenüber der Kirche verpflichtet«, entgegnete Konrad. Jetzt verstand er, warum Anselms Respektlosigkeit gegenüber den Werten der Kirche Fulbert und Matthäus so in Rage brachte. Dieser Gehorsam war das Fundament, auf dem ihr Leben hier im Kloster beruhte, das Fundament für ihren Seelenfrieden. »Alles andere wäre eine Sünde gegen Gott!«
Anselm starrte mit grimmigem Gesicht ins Feuer. »Du musst noch viel lernen, Konrad. Jemand, der andere Ansichten vertritt als der Papst, muss sich deshalb noch lange nicht im Irrtum befinden. Auch Päpste können sich irren.«
»Und was hat dieser Abaelard gelehrt?« Nun zog eine Frage die nächste nach sich, genau so, wie an einem Rosenkranz Perle auf Perle folgt. Konrad spürte eine innere Unruhe, eine Lust, sein Wissen zu erweitern. War es eine Sünde, wissen zu wollen?
»Ich bin Mönchsritter, kein Magister«, sagte Anselm. »Gilbert von Nogent wird dir das viel besser erklären können als ich. Soweit ich es verstehe, tat sich Abaelard schwer mit dem Gehorsam. Wenn sogar Päpste und Könige irren können, ist es dann unter allen Umständen angebracht, ihnen zu gehorchen? Wenn unser jetziger Papst Eugen zum Kreuzzug gegen die Heiden aufruft, ist das richtig? Wenn Bernhard von Clairvaux in Eugens Auftrag durch die Lande zieht und in seinen Predigten den Rittern verspricht, dass sie in den Himmel kommen, wenn sie möglichst viele Sarazenen erschlagen, ist das richtig? Wenn er den Kaufleuten gute Geschäfte im Heiligen Land verspricht, damit sie die Ritter begleiten, ist das richtig?«
»Das können der Heilige Vater und der Abt Bernhard gewiss besser beurteilen als ich«, sagte Konrad.
»Sicher. Das ist die bequeme Antwort«, entgegnete Anselm und wirkte verärgert.
Um ihn zu besänftigen und freundlicher zu stimmen, fragte Konrad: »Mit welchen neuen Aufgaben wird der Herr Erzbischof Euch denn betrauen?«
»Nun, in Köln wartet immer Arbeit auf mich«, antwortete Anselm, was, wie Konrad fand, ebenso geheimnisvoll wie vage klang und seine Neugierde nicht befriedigte.
In diesem Moment klopfte es an der Tür. »Ja, bitte!«, brummte Anselm.
Matthäus steckte seinen runden Kopf herein. »Ah, Konrad! Fulbert sagte mir, dass ich dich vermutlich hier antreffen würde. Du musst mir bei den Reisevorbereitungen zur Hand gehen!« Matthäus' Stimme klang aufgeregt und etwas atemlos. »Wir müssen schon morgen früh aufbrechen.«
»Was die Reise betrifft, habe ich eine gute Nachricht zu verkünden«, sagte Anselm. »Damit euch unterwegs nicht zu sehr die Knie zittern, werde ich euch bis zur Wolkenburg begleiten, ehe ich nach Köln weiterreite. Mit meinem Schwert habe ich schon so manchem Halunken den Schädel gespalten, so dass ihr euch unterwegs vor Räubern nicht fürchten müsst.«
Matthäus mochte Anselm nicht sehr, das wusste Konrad. Doch jetzt wirkte der neue Prior sichtlich erleichtert. Und auch Konrad fand es beruhigend, dass ein kampferprobter Ritter sie begleiten würde.
»Kaum zu glauben, dass unser neuer Abt in London war! Da musste er ja übers Meer fahren!«,
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