Der Mönch und die Jüdin
angrinste. »Kirchenväter, nichts als Kirchenväter! Ein paar Predigten von Rufern in der Wüste. Und nichts, was das Herz eines neugierigen jungen Menschen höherschlagen lassen könnte.«
Spürbar verärgert erwiderte Fulbert: »Es wundert mich nicht, dass einer wie Ihr, dem nichts heilig ist, lieber häretische Schriften hier sehen würde, die bei den Gläubigen Verwirrung stiften.«
Anselm zuckte die Achseln. »Ein wenig zum Nachdenken anregende Verwirrung hat noch niemandem geschadet.«
Konrad brannte eine Frage auf der Zunge, und er konnte gar nicht anders, als sie laut auszusprechen: »Unser neuer Abt … war Magister in Paris. Wer … wer ist er? Ich meine, kennt Ihr ihn vielleicht, Anselm?«
Statt zu antworten, schaute Anselm dem Novizen neugierig über die Schulter: »Sieh da, wieder einmal eine von Bernhards Predigten. Es gibt wohl nichts, was hinter Klostermauern derzeit mehr in Umlauf ist. Und, wie gefällt dir die Predigt, Konrad? Über welche Abweichler von der reinen Lehre gießt der größte Theologe seit Augustinus diesmal Gift und Galle aus?«
Fulbert schlug mit der flachen Hand so fest auf sein Pult, dass es erzitterte und ein Schreibrohr zu Boden fiel. »Wie könnt Ihr es wagen, Anselm von Berg!«
Anselm bückte sich, nahm das Schreibrohr und legte es auf Fulberts Pult zurück. Doch selbst in dieser Geste, die versöhnlich, fast demütig hätte wirken können, lag etwas Herausforderndes, das eine bedrohliche körperliche Kraft ausstrahlte.
»Also, sag uns deine Meinung«, forderte Anselm Konrad auf. »Es schadet nicht, wenn du gelegentlich mal über die Texte nachdenkst, die du kopierst.«
Fulbert war nun, wo Anselm nicht mehr Prior war, offenbar nicht länger bereit, dessen Benehmen einfach hinzunehmen. Ernst und streng sagte er: »Ein guter Mönch braucht keinen Eigensinn. Ein guter Mönch hört auf Bernhards Predigten und betet. Wir sollen vor allem glauben, nicht denken. Alles, was in dieser Welt gedacht werden kann und muss, wurde uns in den Evangelien und den Schriften der Kirchenväter überliefert. Und wie diese Schriften auszulegen sind, wissen nur der Heilige Vater und einige wenige von Gott berufene Glaubenslehrer wie Bernhard. Wir einfachen Mönche haben auf deren Urteil zu vertrauen.«
Konrad spürte, dass Fulbert dies fast noch mehr zu ihm als zu Anselm sagte. Es ging wieder einmal um die demütige Frömmigkeit, die der Bibliothekar ihm vermitteln wollte. »Ich weiß, ich bin oft sehr hart mit dir, Konrad«, sagte er manchmal. »Aber du wirst mir dafür später dankbar sein, glaub mir.«
Anselms Grinsen wurde breiter. Er genoss es offenbar, den Bibliothekar zu provozieren. »Und nehmen wir einmal an, der Erzbischof würde Konrad als Sekretär nach Köln holen? In der erzbischöflichen Kanzlei wird Konrad denken müssen. Vielleicht wirft man Euch dann in den Kerker, Fulbert, weil Ihr Eure Pflichten versäumt und es ihm nicht beigebracht habt!«
»In der Religion geht es nicht ums Denken, sondern um den Glauben. Wer wahrhaft glaubt, muss die kirchlichen Lehren nicht durch eigensinnige Winkelzüge des Verstandes in Zweifel ziehen«, entgegnete Fulbert streng.
Anselm schaute Konrad ernst an. »Wenn du wissen willst, wer Gilbert von Nogent ist, musst du zunächst wissen, wessen Schüler er war.«
Als Konrad die Veränderung in Fulberts Gesichtsausdruck bemerkte, wurde ihm klar, dass auch der Bibliothekar wenig oder gar nichts über ihren neuen Abt wusste.
Fulbert wirkte plötzlich interessiert, neugierig, und sagte langsam: »Nun, an einer der Pariser Klosterschulen wird er studiert haben. Vielleicht bei dem frommen und ehrwürdigen Abt Suger.«
Das maliziöse Lächeln kehrte in Anselms Gesicht zurück. »Wer war denn der größte Lehrer in Paris?« Er deutete auf das Pergament, an dem Konrad schrieb. »Lieblingsfeind des Bernhard von Clairvaux.«
Fulbert erbleichte. »Wollt ihr etwa andeuten, unser künftiger Abt hat … hat bei …« Er schüttelte ungläubig den Kopf.
»… bei Abaelard studiert«, beendete Anselm den Satz. »Und nach allem, was ich weiß, war er sogar sein gelehrigster Schüler. Womit er sich in Rom gewiss nicht beliebt gemacht hat.« So betroffen und fassungslos hatte Konrad den Bibliothekar noch nie erlebt. »Das ist … das ist doch … Gott steh uns bei!« Fulbert drehte sich um, verschwand in der Bibliothek und schlug die Tür hinter sich zu.
Anselm schien dieser Abgang sichtlich Vergnügen zu bereiten. Er lachte lauthals auf, steuerte auf die
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