Der Mönch und die Jüdin
ein wirklich gutaussehender Mann gewesen sein. Die unversehrte rechte Augenpartie, Nase und rechte Wange kündeten heute noch von einem ebenmäßigen, edlen Gesicht. Er besaß die kräftige, ritterliche Statur seines Bruders Rainald, die leicht gebeugten Schultern wiesen aber darauf hin, dass er viel Zeit über dem Pult verbrachte.
Der Rest seines Gesichts war eine bucklige, konturlose Masse, die mit Narben überzogen war. Das linke Auge hatte er offenbar damals durch die Brandverletzung verloren, die leere Höhle war von rötlichem Gewebe umwuchert. Von seinen Lippen waren nur verstümmelte Reste vorhanden, so dass es aussah, als blecke er die Zähne zu einem ständigen Grinsen. Das war gewiss auch der Grund für seine recht mühsame und undeutliche Aussprache. Der Hals war ebenfalls stark verbrannt und von weißlichem, buckligem Gewebe überzogen. Die knotige Kopfhaut war weitgehend kahl, nur hier und da ragten einige kurze Haarbüschel hervor. Seine Handrücken waren vernarbt. Da Ludowig eine Wolljacke trug, konnte Konrad nicht sehen, ob auch die Arme verbrannt waren, aber er nahm es an. Schließlich hatte er gesehen, dass Ludowig an Gesicht und Armen in Flammen gestanden hatte.
Ludowig legte den Federkiel beiseite. »Komm, wir setzen uns an den Tisch. Ich bin gerade dabei, für einen Freund, einen fahrenden Sänger, der mich ab und zu besucht, den Text eines Minneliedes fertigzustellen, aber die Worte wollen nicht recht fließen. Auch nach hier unten dringt etwas von der Aufregung, die mit den armen Juden auf die Burg gekommen ist. Das hat mich wohl abgelenkt. Ich werde es später, in der Stille der Nacht wieder versuchen. Andererseits bin ich sehr froh, dass die Juden hier bei uns Schutz finden.«
»Du bist … Dichter?«
»Ja. Das ist wohl meine Berufung. Ich war es schon, als ich noch wie ein Mensch aussah. Auch Hartmann und seine fahrenden Musikanten, die du bei deinem ersten Besuch erlebt hast, singen einige meiner Lieder.«
Konrad erinnerte sich an seine erste Begegnung mit dem Sänger dieser Spielleute. »Aber wieso hat mir Hartmann nicht von dir erzählt, als ich ihn oben auf dem Bergfried traf? Er warnte mich nur, hier herunterzugehen.«
»Es ist mir sehr unangenehm, fremde Menschen durch meinen Anblick zu erschrecken. Deswegen bitte ich meine Freunde, eine gewisse Geheimhaltung zu wahren. Aber du bist dann ja trotzdem bis in den Keller gelaufen.«
»Das war ein Versehen. Ich war völlig in Gedanken. Du hast gar nichts zu mir gesagt, bist einfach wieder in deine Gemächer verschwunden.«
Ludowig setzte sich an den Tisch und bot ihm den anderen Stuhl an. Konrad hatte vor Aufregung ganz zittrige Knie und war froh, Platz nehmen zu können.
»Ich war genauso erschrocken wie du«, sagte Ludowig. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dir so unvermittelt gegenüberzustehen. Natürlich wusste ich, dass du auf die Burg kommen würdest. Aber dann war ich trotzdem sprachlos. Zum Glück ist Brigid gekommen und hat die Situation gerettet.«
»Brigid.« Konrad zögerte, dann holte er tief Luft und sagte: »Ich bin gekommen, um dich etwas zu fragen, Ludowig.« Jetzt gab es kein Zurück mehr. »Ich habe da bestimmte … Erinnerungen. Nebelhafte Erinnerungen. Da … war ein Mädchen im Feuer. Und du hast es gerettet, Ludowig, nicht wahr? Du warst es doch?«
Ludowig seufzte schwer. »Das habe ich geahnt«, sagte er. »Ich habe geahnt, dass du bald kommen würdest, um Fragen zu stellen. Nein, nicht nur geahnt – gehofft. Und Brigid hofft es noch viel mehr, das weiß ich. Wir haben oft darüber gesprochen.«
»Ich verstehe nicht. Was habt ihr gehofft, Brigid und du?«
Ludowig schwieg einen Moment, sein einäugiger Blick irrte im Raum umher. Schließlich schaute er Konrad offen ins Gesicht. »Dass du dich erinnern würdest. Wir haben gehofft, dass irgendwann deine Erinnerung zurückkehren würde – wenn auch vielleicht nur bruchstückhaft.«
»Meine Erinnerung woran?«
»Du hast recht, Konrad«, antwortete Ludowig. »Brigid ist das Mädchen, das ich damals aus dem Feuer gerettet habe. Leider kam ich zu spät, um …«
»… auch die schöne Frau zu retten?«, setzte Konrad den Satz fort. »Wer war sie? Brigids Mutter?«
»Ja«, antwortete Ludowig leise. »Sie hieß Brid.« Er schaute Konrad aufmerksam an. »Sagt dir dieser Name etwas?«
»Müsste er mir etwas sagen?« Konrad schüttelte langsam den Kopf. »Hör zu, Ludowig: Seit meinem sechsten Lebensjahr – an die Zeit davor erinnere ich mich nicht –
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