Der Mönch und die Jüdin
gebunden war, von den Flammen bedroht!«
Ludowig schwieg einen Moment, dann sagte er: »Uns war nicht klar, dass dich solche Träume quälen. Glaub mir bitte, das wussten wir nicht. Rainald, Brigid, Widogard, und später, als er wieder im Rheinland weilte, auch Anselm haben sich immer wieder bei Abt Balduin nach deinem Wohlergehen erkundigt. Stets sagte er, es ginge dir gut und du würdest dich zu einem gesunden, begabten jungen Mann entwickeln. Es sei am besten, dich in Ruhe zu lassen, um die alte Wunde an deiner Seele nicht aufzureißen. Er versprach, gut für deine Ausbildung zu sorgen, so dass dir später als Kleriker im Erzbistum eine glänzende Laufbahn offenstünde. Du brächtest dafür alle Voraussetzungen mit. Verstehst du, dass wir dein neues Dasein nicht gefährden wollten, aus Angst, du könntest wieder in den völlig apathischen, stummen Zustand zurückfallen, in dem du unmittelbar nach den schrecklichen Ereignissen gefangen warst? Wir wollten deine Zukunft nicht aufs Spiel setzen. Ich glaube, Brigid hat am meisten darunter gelitten. Sie hat ihren Bruder immer sehr vermisst.«
Konrad wusste nicht, ob er wütend oder traurig sein sollte. Aber je mehr er darüber nachdachte, desto mehr konnte er nachvollziehen, was Ludowig ihm da erzählte. Balduin hatte von Konrads Träumen gar nichts mitbekommen. Nur Matthäus, seinem väterlichen Freund, hatte Konrad sich anvertraut. Matthäus war es gewesen, der an Konrads Bett gesessen und ihn getröstet hatte, als er noch ein Junge gewesen war. Und Matthäus hatte ihm immer eingeschärft, mit niemandem im Kloster über die Träume zu sprechen. »Sie würden dich nicht verstehen«, hatte er gesagt. »Sie würden dich ablehnen, und irgendwann würden sie dich hassen.«
Konrad wusste jetzt, was menschlicher Hass anrichten konnte. Er hatte es in Bonn gesehen und in Köln. Und deshalb sah er ein, warum Matthäus Konrads böse Träume unbedingt geheim halten wollte: Leider waren – wie fast alle Menschen – auch die Mönche von Neuwerth sehr abergläubisch, dagegen vermochten alle Predigten Balduins nichts auszurichten. Wären seine unheimlichen Träume im Kloster bekanntgeworden, hätten die Mönche womöglich geglaubt, Konrad sei gefährlich und vom Teufel besessen. Dann wäre er in der Klostergemeinschaft isoliert gewesen, und sobald Balduins Autorität nachließ, hätte man versucht, ihn loszuwerden, ihn irgendwohin abzuschieben. Davor hatte Matthäus ihn beschützen wollen.
Abt Balduin hatte nur den äußeren Konrad gesehen, der Matthäus gewissenhaft in Küche und Garten half, der bei Fulbert brav und fleißig das Schreibhandwerk erlernte. Und dieses Bild hatte er dann an Rainald und Brigid weitergegeben, wenn sie sich nach ihm erkundigten. Auch Anselm hatte also nach ihm gefragt …
Eine hilflose Wut stieg in ihm hoch. Er war wütend, dass man ihm all die Jahre etwas vorgemacht hatte, aber gleichzeitig begriff er, dass die Menschen, die dafür verantwortlich waren, nicht in böser Absicht gehandelt hatten, sondern ihn nur hatten beschützen wollen. Abt Balduin und Matthäus hatten sich bemüht, ihm eine gute Zukunft zu ermöglichen. Und die anderen hatten nicht gewagt, ihn mit der Vergangenheit zu konfrontieren, aus Angst, diese Zukunft zu gefährden.
Er merkte, dass er sich in seinen Gedanken verlor. Ludowig saß ruhig dabei, er ließ ihm Zeit. Schließlich fragte Konrad: »Welche Rolle hast du denn in dem Ganzen gespielt? Als ich in Köln die schrecklichen Scheiterhaufen sah, kehrte ein kleiner Teil meiner Erinnerung zurück. Ich sah, wie du Brigid aus den Flammen gerettet hast und dabei schrecklich verwundet wurdest.«
Ludowig trank etwas Wasser. Da er seine Lippen nicht richtig schließen konnte, musste er den Kopf zurücklegen und das Wasser in seinen geöffneten Mund gießen, wobei ihm ein Teil über das Kinn lief. Er wischte es sorgfältig mit einem auf dem Tisch bereitliegenden Tuch ab.
»Ich glaube, du bist jetzt reif genug, um alles zu erfahren, was damals geschah, Konrad. Aber das, was ich dir erzähle, könnte sehr schmerzhafte Erinnerungen in dir wecken. Bist du dazu bereit?«
»Auf die Dauer ist Nichtwissen schlimmer als Wissen«, antwortete Konrad. Er atmete tief durch, dann sagte er entschlossen: »Erzähle, Ludowig, bitte! Verschweige mir nichts.«
»Brid, deine Mutter, übte den gleichen Beruf aus wie heute deine Schwester Brigid. Sie war Hebamme und Heilerin, eine Aufgabe, die sie sich nicht selbst ausgesucht hatte, sondern für die
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