Der Mönch und die Jüdin
quälen mich Alpträume, in denen ich sehe, wie eine schöne Frau und ein kleiner Junge von einer aufgebrachten Menge auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. Neuerdings hat die Szenerie – ich glaube, es ist eine Erinnerung – sich erweitert. Jetzt sehe ich außerdem, wie du dieses Mädchen, Brigid also, aus den Flammen rettest.«
Ludowig wirkte ehrlich erstaunt. »Von diesen Alpträumen wusste ich nichts. Davon wussten wir alle nichts. Davon hat … hat man uns nie etwas gesagt. Wir dachten, du hättest überhaupt keine Erinnerungen.«
»Wir? Wer ist wir? Brigid und du? Und wer hat euch nichts gesagt?« All diese Andeutungen und offenen Fragen! Das machte Konrad richtig wütend.
»Also gut«, sagte Ludowig. »Wir waren uns immer einig, dass wir die, nun ja, Geheimhaltung aufgeben würden, sobald du selbst dich erinnerst. Sobald du anfängst, von dir aus Fragen zu stellen. Dieser Moment ist jetzt also gekommen. Ich habe im Laufe der Zeit oft darüber nachgedacht, wie man dir alles am besten erklären könnte. Aber jetzt kommt es doch sehr plötzlich. Es ist … nicht so einfach, verstehst du?«
»Dann … dann habt ihr also etwas mit mir zu tun. Ich meine, ich habe diese Sache damals nicht nur zufällig mit angesehen.«
Ludowig nickte. »Das war in der Tat kein Zufall. Offenbar konntest du ihnen im letzten Moment entwischen, sonst hätten sie dich mit Brigid an den Pfahl gebunden.«
»Ich habe mich Brigid seltsam nahe gefühlt, als ich ihr hier auf der Burg begegnet bin. Es war mir fast als … als wären wir alte Bekannte.«
Ludowig stand auf, ging um den Tisch herum und legte Konrad die Hand auf die Schulter. »Brigid ist deine Schwester.«
Er hatte es geahnt … es tief im Herzen gespürt. Da gab es diese Vertrautheit zwischen ihnen, das Gefühl, dass sie sich schon seit langer Zeit kannten. Brigid war seine Schwester. Er schluckte, seine Augen wurden feucht. »Dann war Brid … die schöne Frau, die damals gestorben ist … auch meine Mutter?«
»Ja.«
»Und … mein Vater? Ludowig, bist du mein Vater?«
Ludowig schüttelte seinen schrecklichen Kopf. »Nein. Rainald hätte ja wohl kaum die Tochter seines Bruders zur Frau genommen.«
Traurig sagte Konrad: »Also ist auch mein Vater damals gestorben, und ich werde ihn niemals kennenlernen.« Er berichtigte sich: »Ihn niemals neu kennenlernen. Denn alles, was vor dem Feuer war, habe ich ja vergessen.«
Das eine Auge, das Ludowig geblieben war, schaute ihn aufmerksam an. »Konrad, dein Vater lebt. Und du kennst ihn.«
»Ich … kenne ihn?«, fragte Konrad verwirrt. »Ja, aber, wer ist es denn?« Starke Arme, die ihn hinter dem Fass hochgehoben und in Sicherheit getragen hatten …
»Ahnst du es nicht bereits? Anselm von Berg ist dein Vater.«
D IE G ESCHICHTE VON B RID UND A NSELM
L udowig nahm einen Becher von dem Regal hinter sich, stellte ihn vor Konrad auf den Tisch und schenkte ihnen beiden Wasser ein. Für einen Moment dachte Konrad, Ludowig sei wahnsinnig oder er erzähle ihm bewusst die Unwahrheit.
Und angenommen, es stimmte, und Anselm war tatsächlich sein Vater. Wieso hatte er sich ihm dann nie zu erkennen gegeben? »Ich … ich verstehe einfach nicht, dass mir in all den Jahren nie etwas davon gesagt wurde.«
»Inzwischen glaube ich, dass das ein Fehler war.« Ludowig wich Konrads Blick aus. Sein Auge irrte suchend im Raum umher. »Es ist schwer zu erklären. Du hattest jede Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse verloren, aber auch an alles, was vorher war. Du erkanntest niemanden von uns. Dein Bewusstsein war wieder wie ein unbeschriebenes Blatt. Der Schock, den grausamen Feuertod deiner geliebten Mutter hilflos mitansehen zu müssen, war zu viel für dich gewesen. Anselm wollte damals einfach nur fort von hier, alle Brücken hinter sich abbrechen. Sein Gewissen quälte ihn. Also brachte er dich zu Abt Balduin ins Kloster Neuwerth. Balduin versprach, für deine Erziehung zu sorgen, und so hattest du die Chance, ein völlig neues Leben zu beginnen. Wir kamen damals überein, dich in Ruhe zu lassen, damit du deinen Frieden finden würdest. Wir fürchteten, dass du endgültig zerbrechen könntest, wenn wir die Erinnerung aufgeweckt hätten, die du tief in dir vergraben hattest. Denn so weit schienst du im Kloster gut aufgehoben.«
»Aber die Träume! So oft haben mich nachts diese schrecklichen Träume gequält, für die ich keine Erklärung hatte! Träume, in denen ich Feuer sah, und eine schöne Frau, die an einen Pfahl
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