Der Mönch und die Jüdin
bewahren. Er war mehr denn je entschlossen, mit ihr wegzugehen. Ich darf den alten Joseph nicht enttäuschen, indem ich jetzt überstürzt und unklug handle, dachte er. Er hatte gefühlt, dass Hannah mit ihren Nerven am Ende war. Nach allem, was sie durchlitten hatte, war das ja auch kein Wunder. Deswegen glaubte er auch nicht, dass sie das mit dem Kloster wirklich ernst gemeint hatte.
Er durfte jetzt auf keinen Fall zweifeln. Sein ganzes Leben lang war er immer ängstlich und zweifelnd gewesen. Aber von nun an wollte er stark und erwachsen sein. Für Hannah. Er musste mit Brigid sprechen, sie würde ihm sicher helfen. Noch wusste er ja gar nicht, ob sie wirklich zu Brigids Großtante fliehen konnten und ob sich ein zweites Pferd beschaffen ließ. Brigid musste ihm diesen Nahkampftrick beibringen, mit dem sie ihn aufs Kreuz gelegt hatte! Stark genug, um so wie Anselm mit einem großen Schwert kämpfen zu können, würde er wohl niemals werden, aber wenn er lernte, mit einem Messer umzugehen, konnte er Hannah wenigstens im Nahkampf verteidigen.
Konrad schaute nach Westen. Die Sonne würde bald untergehen. Plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihn mit großer Freude erfüllte: Er war nicht allein. Er hatte Freunde gewonnen – Anselm, Gilbert, Brigid. Auch Rainald von Falkenstein schien ihm wohlgesonnen. Mit Brigid würde er zuerst sprechen. Entschlossen stieg er die Stufen hinab.
Am Ausgang des Turms zögerte er. Da war ja nicht nur die geplante Flucht mit Hannah, sondern auch noch das Geheimnis seiner eigenen Herkunft.
Bestimmt würde es ihm viel leichter fallen, mit Hannah in eine gemeinsame Zukunft zu gehen, wenn er sich endlich von der Last seiner ungewissen Vergangenheit befreien könnte. Dass damals schreckliche Dinge geschehen waren, wusste er. Aber konnten sie schrecklicher sein als das, was er in Köln miterlebt hatte? Auf Dauer jedoch wurde es unerträglich für ihn, nichts über seine Herkunft zu wissen. Erst wenn er seiner Vergangenheit offen ins Gesicht schauen konnte, würde er vernünftig mit ihr umgehen und eine innere Haltung dazu finden können.
Er ging die Treppe weiter hinab, in den Keller. Dort, wo er sich beim ersten Mal so fürchterlich erschreckt hatte, blieb er stehen. In einer Halterung an der Wand glomm eine Öllampe. Durch eine offene Tür am hinteren Ende des Gewölbes fiel auch etwas Tageslicht in das Kellergewölbe herein. »Ludowig?« Seine Stimme hallte von den Wänden wider und klang ihm dadurch seltsam fremd in den Ohren.
»Konrad? Bist du das?«
Ludowig hatte seine Stimme sofort erkannt! »Ja. Ich würde dich gerne besuchen.«
»Dann komm nur herein. Du bist mir immer willkommen.« Ludowigs Stimme klang rau, als hätte er Pergament in seiner Kehle. Er formte die Worte etwas undeutlich und mühsam, war aber trotzdem gut zu verstehen.
Jetzt schlug Konrad das Herz bis zum Hals. Er schluckte. Seine Hände wurden eiskalt. Ganz tief aus seinen Eingeweiden stieg eine lähmende Angst auf, die ihn dazu trieb, sich umzudrehen, die Treppe hinaufzustürzen, aus der Burg zu fliehen und nicht mehr anzuhalten, bis er das Kloster Neuwerth erreichte. Dort würde er sich dann bis ans Ende seiner Tage furchtsam vor der Welt verkriechen …
Aber er bezwang die Angst, und mit klopfendem Herzen trat er über die Schwelle zu Ludowigs Gemach.
Der Raum war größer, als Konrad damals bei seinem kurzen Blick durch die Tür erahnt hatte. Er war recht wohnlich eingerichtet, mit einigen Truhen, einem mit Fellen gepolsterten Bett, Stühlen und einem Tisch, auf dem ein Wasserkrug, ein Becher, etwas Brot, Käse und eine Schale mit Nüssen und Dörrobst standen. Und hinter einem offenen Durchgang gab es einen zweiten Raum. Erstaunt sah Konrad dort Regale mit Folianten und Schriftrollen – eine kleine Bibliothek! Nicht so beeindruckend wie die Joseph ben Yehiels, aber doch eine recht umfangreiche Sammlung. Lichtschächte bewirkten, dass überraschend viel Tageslicht in die beiden unterirdischen Räume gelangte.
Auf ein Stehpult, wo zusätzlich eine Kerze brannte, fiel noch ein matter Schimmer des Abendlichts. Dort war Ludowig gerade damit beschäftigt, etwas aufzuschreiben. Dann hob er den Kopf und schaute Konrad an.
Diesmal war Konrad vorbereitet. Für einen Moment ging sein Atem schneller, aber er ertrug den Anblick, brachte sogar ein höfliches Lächeln zustande. »Ich grüße Euch, Ludowig von Falkenstein.«
»Angesichts dessen, was uns verbindet, kannst du mich ruhig duzen.« Ludowig musste einst
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