Der Mönch und die Jüdin
gewartet, dass er endlich bereit war, sich zu erinnern.
Ludowig hatte ihnen lustige, selbst erfundene Geschichten erzählt. Sie hatten mit ihm und Brid Lieder gesungen und waren durch die Wälder gestreift, um fröhlich Verstecken zu spielen und Kräuter zu sammeln. Konrad hatte immer geglaubt, in der Zeit vor dem Kloster hätte es nur das schreckliche Feuer und den Tod gegeben. Aber er hatte tatsächlich eine Kindheit gehabt – eine glückliche Kindheit! Er schluckte. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
Jetzt erklang wieder Ludowigs Stimme, die nicht mehr sanft und wohltönend war wie in Konrads Kindheit, sondern rau, von den Verletzungen gebrochen: »Nun geschah das, wofür Anselm sich bis heute die Schuld gibt, weswegen er bis heute ein zerrissener, unglücklicher Mensch ist. Weißt du, Brid und ich, wir waren so glücklich, dass wir uns wegen der Stimmung im Dorf keine großen Gedanken machten. Natürlich gab es Gerede, aber wir nahmen das nicht ernst, oder jedenfalls nicht ernst genug.«
Inzwischen war es dunkel geworden, so dass kein Licht mehr von draußen in den Keller fiel. Ludowig stand auf, zündete an dem Leuchter auf dem Pult eine Kerze an und stellte ihn auf den Tisch. Dann setzte er sich wieder und fuhr fort: »Die Rolle einer solchen Heilerin in einer Dorfgemeinschaft ist immer heikel. Die Leute brauchen sie, aber sie fürchten sie auch, weil die Heilerin über ein geheimes Wissen verfügt, das den Horizont der Dörfler übersteigt. Das kann jahrelang gutgehen, aber wenn die Stimmung irgendwann kippt und immer mehr Dörfler den Verdacht hegen, die gute Heilerin sei vielleicht doch eine böse Zauberin, wird es gefährlich. Vielleicht gibt es eine Missernte, ein Viehsterben, oder es sterben eines oder mehrere Kinder, obwohl die Heilerin sie behandelt hat. Dann machen die Bauern die Heilerin zum Sündenbock für ihre eigenen Ängste.
Vielleicht war Brid auch etwas leichtsinnig geworden. Wir hätten einfach gewarnt sein müssen. Vieles kam da zusammen: Sie lebte mit mir in Sünde. War das nicht der Beweis dafür, dass sie ihre Kräfte in böser Absicht einsetzte? Schließlich hatte sie mich verhext und in ihren Bann gezogen. Einem Bauern in Brids Nachbarschaft starben hintereinander drei Kühe. Für die armen Bauern ist so etwas ein schrecklicher Verlust. Ein kleines Kind, das Brid behandelt hatte, starb am Tag darauf. Aber ich glaube, was ihr wirklich zum Verhängnis wurde, war ihr unbekümmerter Umgang mit den jungen Frauen des Dorfes.
Sie gingen bei ihr ein und aus. Brid gab ihnen heilende Kräuter, half ihnen, nicht schwanger zu werden und auch einmal eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. Vor allem aber gab sie ihnen Selbstbewusstsein. Und wenn sie dann gegen ihre Männer aufbegehrten, beriefen sie sich auf Brid. Das konnte nicht gutgehen. Immer stärker schwelte bei den Männern der Hass. An dem Tag, an dem dann das Unheil über uns hereinbrach, ging ich morgens hinauf auf die Burg, weil ich in der Bibliothek für eine Ballade, an der ich arbeitete, etwas nachlesen wollte. So war Brid mit euch Kindern allein.«
Konrads Magen zog sich zusammen, kalter Schweiß brach ihm aus. Die Erinnerung kehrte zurück. Er sah alles so klar und deutlich vor sich, als erlebte er es ein zweites Mal. Sie hatten in der Küche ihres kleinen Hauses gesessen, in dem er sich während seiner ganzen Kindheit immer so geborgen gefühlt hatte. Brid hatte ihnen eine kleine Geschichte vorgelesen, die Ludowig geschrieben hatte, und dann war eine junge Bäuerin von nebenan hereingekommen, mit der Brid befreundet war. Sie rief mit aufgeregter Stimme: »Brid, Brid, ihr müsst weg von hier, sofort! Es braut sich etwas Schlimmes zusammen im Dorf!«
Doch seine Mutter wollte davon gar nichts hören. Sie lachte und sagte: »Spielen eure Männer mal wieder verrückt? Erst spinnen sie herum, faseln von Hexerei und Teufelsaustreibung, und anschließend trinken sie sich in der Dorfschenke gegenseitig unter den Tisch.«
»Diesmal ist es ernst, Brid! Fliehe, solange es noch nicht zu spät ist!«
Aber da hörten sie draußen schwere Schritte und diese schrecklichen Rufe: »Tod der Hexe und ihrer Höllenbrut! Die böse Zauberin muss sterben!« Und dann stürmten die Männer auch schon ins Haus, polternd und grölend. Der Mann der Nachbarin war auch dabei. Als er seine Frau entdeckte, die nicht mehr hatte entkommen können, versetzte er ihr einen Faustschlag ins Gesicht, so dass sie zu Boden fiel.
Sie packten Brid und den
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