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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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als neuen Vater akzeptiert hattet. Es muss wirklich hart für ihn gewesen sein, und ich rechne ihm bis heute hoch an, dass er damals seinen Willen nicht durchgesetzt hat, sondern allein auf sein Gut zurückgegangen ist. Wir sahen ihn lange nicht wieder.
    Dass Brid als verheiratete Frau mit einem anderen, deutlich jüngeren Mann lebte und von ihm ein Kind erwartete, sorgte im Dorf für Gerede. Schon damals entstand das böse Gerücht, sie habe mich, den Sohn des Burgvogts, verhext. Mein Vater drückte hingegen beide Augen zu, denn er schätzte Brid sehr, weil sie so vielen Menschen auf der Burg und in Vineberg geholfen hatte. Und mich liebte er trotz meiner fehlenden Ritterlichkeit. Bald wurde unser Sohn Hagen geboren …«
    Konrad schluckte. Er merkte, dass sein Hals vor Aufregung ganz rau war, und rasch trank er einen Schluck Wasser. »War Hagen der kleine Junge, der im Feuer gestorben ist?«, fragte er.
    »Ich bin zu spät gekommen … Brid und Hagen konnte ich nicht retten.« Für einen Moment versagte Ludowigs Stimme. Sein gesundes Auge wurde feucht. Aber dann gewann er die Fassung wieder und sprach weiter: »Als Hagen gut zweieinhalb Jahre alt war, stürzte mein Vater auf der Jagd so unglücklich vom Pferd, dass er bald darauf seinen Verletzungen erlag. Auch Erzbischof Friedrich war inzwischen gestorben. Sein Nachfolger Bruno von Berg, ein entfernter Verwandter Anselms, fand mich zu jung und zu wenig ritterlich für das Amt des Burgvogts. Rainald, mein älterer Bruder, weilte damals gerade auf Ritterfahrt im Heiligen Land. Daher bat Bruno seinen Verwandten Anselm, vorübergehend das Vogtamt zu übernehmen, da er mit den örtlichen Gegebenheiten ja gut vertraut war.
    So kehrte Anselm auf die Wolkenburg zurück. Hinzu kam, dass der neue Erzbischof in moralischer Hinsicht strengere Maßstäbe anlegte als sein Vorgänger. Er forderte von seinem Ministerialen Anselm, dass dieser wieder mit seiner angetrauten Frau zusammenleben solle. Anselm liebte deine Mutter noch immer. Er bat sie, zu ihm zurückzukehren und mit ihm auf der Wolkenburg zu leben. Er warb um sie, machte ihr Geschenke. Natürlich hätte er sie zwingen können, aber er wollte, dass sie aus freien Stücken zu ihm zurückkehrte. Doch sie war glücklich mit mir, mit euch und dem kleinen Hagen. Sie wollte nicht. Um den Moralvorstellungen des Bischofs zu genügen, wäre Anselm jetzt nur noch eine Möglichkeit geblieben: Er hätte sie wegen des Ehebruchs beim Bischof anzeigen und die Scheidung verlangen können.«
    »Und warum hat er das nicht getan?«, fragte Konrad.
    »Daran, dass er es nicht getan hat, kannst du sehen, wie sehr er Brid immer noch liebte. Wenn eine Frau Ehebruch begeht, gilt das als schweres Verbrechen. Bei uns Männern ist die Kirche da nachsichtiger, aber Brid wäre von Erzbischof Bruno hart bestraft worden. Und dich und deine Schwester hätte man ihr weggenommen und in ein Kloster gesteckt. Das wollte ihr Anselm ersparen. Begreifst du, in welchem Dilemma dein Vater steckte? Du weißt, was für ein temperamentvoller Mann er ist. Er muss ungeheuer wütend über die ganze Situation gewesen sein. Und doch versah er das Vogtamt vorbildlich. Alle Leute auf der Burg waren voll des Lobes über ihn. Sogar mir gegenüber verhielt er sich freundlich. Ich glaube, er gab mir keinerlei Schuld. Auch Brid verurteilte er nicht, er machte ihr keine Vorwürfe.«
    »Er war aber doch eigentlich selbst an allem schuld«, sagte Konrad. »Schließlich hat er Brid und uns Kinder im Stich gelassen. Hätte er damals eben bei uns bleiben sollen!«
    »Ach, Konrad, wenn das mit der Schuld immer so einfach wäre! Eines Tages wirst du erkennen, dass im Leben Dinge passieren, die einen ungeheuer wütend und traurig machen können, wo es aber überhaupt nicht weiterhilft, irgendjemandem die Schuld zu geben.«
    Je länger Ludowig erzählte, desto mehr geriet Konrads innere Welt in Bewegung. Ihm war, als täte sich in seinem Gedächtnis eine bislang fest verschlossene Tür auf, hinter die er nun zum ersten Mal schauen konnte. Die Erinnerung an schöne, lange vergangene Zeiten kehrte plötzlich zurück. Ludowig war für Brigid und ihn wie ein Vater gewesen. Die Erinnerung an ihren leiblichen Vater, den sie ja kaum zu Gesicht bekommen hatten, war verblasst. Zusammen mit ihrer Mutter, Ludowig und dem kleinen Hagen waren sie eine glückliche Familie gewesen. Eindrücke, von deren Existenz er nie etwas geahnt hatte, drängten in sein Bewusstsein, als hätten sie nur darauf

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