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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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mit den anderen berühmten Helden an der Tafel Gottes zu sitzen. Daher kämpften sie mit Inbrunst und fürchteten den Tod nicht.
    Gerüstet und bewaffnet aber waren sie schlecht. Schwerter gab es nur wenige, und die meisten davon waren nicht geschärft. Sie stritten mit Äxten und Messern, mit Spießen und Mistgabeln. Kaum einer von ihnen besaß ein Kettenhemd, geschweige denn einen Helm. So trugen sie grässliche Verletzungen und Verstümmelungen davon, wenn sie niedergestreckt wurden. Das Feuer ihres Hasses und ihre glühende Hoffnung auf ein besseres Leben im Neuen Jerusalem machten sie dennoch zu gefährlichen Gegnern. Sie zertrümmerten mit der Axt so manchen erzbischöflichen Schild und den Arm, der ihn hielt, oft gleich mit dazu. Sie durchtrennten den Rittern die Beinsehnen oder warfen sie mit dem Spieß aus dem Sattel.
    Besonders auf der östlichen, der Burg zugewandten Flanke gerieten der Erzbischof selbst, der sich genauso tapfer wie seine Ritter in den Kampf gestürzt hatte, und ein Teil seiner Getreuen in arge Bedrängnis. Da ertönten oben auf der Burg laute Fanfaren, die Tore öffneten sich, und heraus stürmte, mit lautem Kampfgeschrei, eine über hundertköpfige Schar.
    »Die Juden!«, rief jemand. »Die Juden machen einen Ausfall! Die Juden kommen uns zu Hilfe!«
    Über das ganze Schlachtfeld pflanzte dieser Ruf sich fort. Die Juden stürzten sich ins Kampfgetümmel und nahmen Rache für alles, was sie und ihre Frauen und Kinder in Köln Grausames hatten erleiden müssen. Jetzt wendete sich das Blatt endgültig gegen Radulfs Armee. Auch die erzbischöflichen Ritter hieben mit neuem Kampfesmut auf den Feind ein. Die Jünger des neuen Apostels fielen Mann für Mann. Bald waren die Wiesen von Vineberg mit Leichen übersät, und das Gras färbte sich blutrot.
    Während seine Männer zusehends ins Hintertreffen gerieten, ging mit Radulfs schrecklicher Stimme eine Veränderung vor. Seit Tagen hatte diese Stimme seine Gefolgsleute in einem magischen Bann gehalten, so dass sie regelrecht zu Marionetten seines Hasses geworden waren. Doch nun wurde diese gewaltige Stimme immer dünner und heiserer.
    Mehrmals hielt Radulf inne, weil ihn ein heftiger Husten schüttelte, nach dem er sich jedes Mal an der Bordwand des Pferdewagens festhalten und Atem schöpfen musste. Wenn er dann wieder neu ansetzte, verloren seine einst so donnernden Tiraden immer mehr an Kraft, bis er bald nur noch ein schrilles, schwerverständliches Gekreische herausbrachte.
    Auch büßte er offenbar die Fähigkeit ein, klare, zusammenhängende Gedanken zu formulieren. Nur noch wirre Satzfetzen drangen aus seinem Mund. Der Benediktinermönch an seiner Seite hatte sich offenbar so daran gewöhnt, sklavisch alles zu übertragen, was der Prophet äußerte, dass er auch diesen Unsinn Wort für Wort ins Deutsche übersetzte: »Ich … bin der Prophet … der Heilige Geist spricht … hört … hört … Gott hasst den Teufel … wir hassen … wir lieben Gott … tötet alle Juden … tötet euch … ich liebe euch … ich bin Liebe … töten, lieben … Hass ist Liebe … die Wahrheit, ich bin die Wahrheit … Gott ist Hass … Gott ist ich …«
    ***
    Während von Radulfs Tribüne nur noch wirres Gestammel ertönte, kam Konrad langsam wieder zur Besinnung. Sein rechter Arm schmerzte und fühlte sich taub an. Auch sein Rücken tat weh, denn er hatte sich immer wieder im Sattel zur Seite gebeugt und mit dem Dolch Hiebe verteilt oder zugestoßen. Auf seiner linken Körperseite hatte der Schild allen Schlägen standgehalten. Bis auf eine lange Schramme am rechten Oberschenkel, wo eine schartige Schwertschneide seinen ledernen Beinschutz durchschnitten hatte, war er unverletzt. Die ganze Zeit hatte er nicht weit von Anselm und Rainald gekämpft und sich erst jetzt ein Stück von ihnen entfernt, ohne es zu merken. Überall auf der Wiese lagen tote oder sterbende Feinde in ihrem Blut.
    Zum ersten Mal hielt er inne und wurde sich wieder bewusst, wo er hier eigentlich war und was er tat. Er hatte Kehlen durchtrennt und Augen durchbohrt, hatte den uralten magischen Dolch so manchem Anhänger Radulfs in die Brust gestoßen. Als er aufblickte, merke er, dass der Pferdewagen mit Radulf und seinem Übersetzer keine zwanzig Schritte entfernt stand.
    Der neue Apostel machte den Eindruck, als hätte er sich buchstäblich die Seele aus dem Leib geschrien, so dass nur eine leere Hülle zurückgeblieben war. Sein Gesicht sah eingefallen aus und hatte eine

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