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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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schwere Tür drang kaum ein Laut. In der Stille hörte sie nur ab und zu irgendwelches Getier leise trippeln und rascheln – Mäuse und Spinnen vielleicht –, die sie aber in dem ewigen Dämmerlicht nie zu Gesicht bekam. Die Stille war unerträglich. Hannah fing an, sich allerlei Dinge auszumalen, die sich draußen möglicherweise gerade ereigneten. Vielleicht stürmten Radulfs fanatische Horden die Burg, und Hannah bekam es erst mit, wenn sie in den Kerker eindrangen und über sie herfielen.
    Und wenn sie schrie? Mit aller Kraft schrie und schrie? Durch die dicke Tür und die Mauern würde ihr Schrei nicht weit dringen, vielleicht gerade noch bis zu den Pferdeställen. Hatte sie von dort Hilfe zu erwarten? Die Leute, die dort einquartiert waren, gehörten fast alle zu Nathans Klientel. Sie waren auf die eine oder andere Weise von ihm abhängig oder schuldeten ihm etwas. Dass jemand von ihnen Partei gegen Nathan ergreifen würde, war extrem unwahrscheinlich.
    Schmerzlich wurde ihr bewusst, dass sie in der ganzen Judengemeinde kaum Unterstützung zu erwarten hatte. Vielleicht gab es ein paar jüngere Frauen, die ihr helfen würden, aber die hatten nicht viel zu sagen. Die Männer bestimmten. Das Schlimme war, dass alle sagen würden: Nathan ist im Recht. Er ist jetzt ihr Vormund, sie hat ihm zu gehorchen. Und wenn sie das nicht tut, ist es nicht nur sein Recht, sondern auch seine Pflicht, sie zu züchtigen. Das ist nur in Hannahs eigenem Interesse. Vielleicht würden einige seine Bestrafungsmethoden etwas hart und übertrieben finden, aber niemand würde bezweifeln, dass Nathan nur seinen Pflichten als Vormund nachkam.
    Und überhaupt, warum stellt sich diese Hannah eigentlich so an?, würden sie sagen. Nathan ist einer der mächtigsten Juden in der Gemeinde, mit hervorragenden Handelskontakten, und er wird sie mit einem schwerreichen Kaufmann verheiraten. Was will sie denn mehr? Ist sie verrückt?
    Nein, aus der Gemeinde hatte sie keine Hilfe zu erwarten. Ihre Mutter und Rebekka waren zu ängstlich und schwach. Der treue Simon hätte bestimmt alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sie zu befreien. Aber Simon war tot. Aaron war ein guter Kerl, aber nicht so mutig, wie Simon es gewesen war.
    Wenn überhaupt irgendwoher Hilfe kommen konnte, dann von Konrad und seinen Freunden. Aber diese Freunde würden jetzt sicher erst einmal mit der Abwehr von Radulfs Heer beschäftigt sein. Als sie an Konrad dachte, kam ihr sofort der Brief in den Sinn. Da vergrub sie ihr Gesicht in der schmutzigen Decke und weinte.
    Onkel Nathan war so raffiniert und hinterhältig! Er hatte sie verhört wie eine Schwerverbrecherin, und aus lauter Angst, ganz betäubt vor Schmerzen, hatte sie alle seine Fragen beantwortet, damit er endlich aufhörte, sie zu quälen. Und dann hatte er den Brief so unglaublich geschickt formuliert! Bestimmt war Konrad jetzt so verletzt, dass er sie niemals wiedersehen wollte. Aber ihre Hand hatte beim Schreiben gezittert. Vielleicht würde er das bemerken und ahnen, dass sie den Brief unter Zwang geschrieben hatte. Das war ihre einzige Hoffnung …
    ***
    Während die Ritter sich im Burghof auf ihren Einsatz vorbereiteten, erhob sich aus dem Tal Radulfs schreckliche Stimme. Selbst hier oben war noch jedes seiner Worte zu verstehen. Er verhöhnte die Juden und ihre Freunde, nannte sie die Affen des Teufels. Er kündigte an, dass seine von Gott gesalbten Kämpfer alle Ritter und Mannen des Erzbischofs in die Hölle schicken würden, wo sie hingehörten. Dann würden sie die Burg erstürmen und keinen einzigen verfluchten Juden am Leben lassen. Die Zeit des großen Kreuzzugs habe begonnen. Armageddon sei nicht mehr fern. Hier im Rheinland würde dieser Krieg gegen die Feinde Gottes seinen Anfang nehmen und sich dann über den ganzen Erdkreis ausbreiten. Und wenn endlich alle Freunde Satans und Feinde Gottes getötet seien, werde hier auf Erden das Himmlische Jerusalem errichtet.
    Der Erzbischof schaffte es wegen seines gewaltigen Bauches nur mit der Hilfe zweier Knappen, das Pferd zu ersteigen. Als er aber einmal im Sattel saß, wirkte er doch sehr beeindruckend und fürstlich. Er hob die Hand, und ohne Radulfs fanatische Hetzparolen im Geringsten zu beachten, rief er mit hoher Stimme: »Ihr Ritter! Vergesst niemals, dass wir für eine gerechte Sache streiten. Wir haben geschworen, der Heiligen Kirche treu zu dienen und mit der Kraft unserer Schwerter die Unschuldigen zu beschützen! Entweder Radulf bekehrt sich und zieht

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