Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
Vom Netzwerk:
verhätschelst sie in einem Maße, dass es wirklich nicht mehr normal ist! Du musst an das Wohl unserer Familie denken. Und Hannah muss sich deinen Anordnungen fügen. Wir brauchen dringend jemanden, der uns einen üppigen Brautpreis zahlt, um unsere Finanzknappheit zu beenden. Und, bei den Propheten, Hannah ist doch nur ein Weib! Sie hat zu gehorchen und zu dienen. Dazu wurde sie von Gott erschaffen.«
    Darum stritten sie also. Onkel Nathan drängte Joseph wieder einmal, sie endlich zu verheiraten.
    »Ich verbitte mir, dass du dich da einmischst!« Joseph klang jetzt sehr erregt und wütend. »Das habe ich dir schon oft gesagt. Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, mit wem ich meine Tochter verheirate! Und ich werde sie niemals zwingen, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebt!«
    Hannah atmete erleichtert auf. Sie war ihrem Vater unendlich dankbar dafür, dass er Nathans Drängen bislang hartnäckig widerstanden hatte.
    »Aber … das ist gegen jede Tradition!«, schimpfte Nathan. »Wo kommen wir hin, wenn die Töchter selbst entscheiden können, wen sie heiraten wollen? Das ist allein Sache der Familie. Wir müssen entscheiden, was für uns den größten Nutzen bringt. Manchmal denke ich, dass … dass du gar kein richtiger Jude mehr bist! Immer musst du deinen eigenen Kopf durchsetzen, statt dich an Gesetz und Tradition zu halten!«
    »Was willst du?«, entgegnete Joseph ebenso heftig, aber doch ungleich sanfter als der Onkel, dem jegliche Zartheit des Gemüts völlig fremd war. »Ich bete mit euch allen in der Synagoge. Ich trage meinen Teil zum Gemeindeleben bei, wie es sich für den Erben eines angesehenen Hauses gehört. Da muss ich mir nichts vorwerfen. Aber steht irgendwo in den alten Schriften, dass man Gott nur dienen kann, indem man sich zu Tode langweilt? Ich habe mich mein ganzes Leben nicht gelangweilt, und ich will auch nicht, dass meine Tochter dazu verdammt wird!«
    »Was soll das nun wieder heißen?«, rief Nathan. »Bist du inzwischen so eigensinnig geworden, dass du sogar den Dienst für den Gott unserer Väter langweilig nennst? Wenn du so weitermachst, wird man dich eines Tages steinigen!«
    »Du hörst mir nicht zu«, erwiderte Joseph, wieder etwas leiser und ruhiger. »Das hast du nie getan. Du hast bis heute nicht begriffen, worum es mir eigentlich geht. Ich bin ein ebenso frommer Jude wie du! Aber ich nehme das Recht für mich in Anspruch, trotzdem mit wachen Augen durch die Welt zu gehen und mich für das Erbe der Menschheit zu interessieren, das uns die Antike hinterlassen hat. Und meine Tochter teilt diese Liebe. Ich möchte, dass sie einen Mann findet, der ihre Interessen und Neigungen teilt. Wie soll sie sonst glücklich werden?«
    »Unsinn! Wenn sie sich der Tradition fügt und ihre angemessene Rolle als Frau einnimmt, wird sie schon glücklich werden wie jedes andere Weib auch. Und überhaupt, was kümmern dich die Launen eines Weibes? Du bist der Vater! Du entscheidest, und sie hat zu gehorchen.«
    Für einen Moment herrschte im Kontor eine unangenehme Stille. Hannah lauschte aufgeregt. Leiser und sachlicher fuhr Onkel Nathan fort: »Sieh dir den Mann doch wenigstens einmal an. Mehr verlange ich ja gar nicht. Er ist den ganzen Weg von Speyer hierhergekommen, mit sechs bewaffneten Dienern, einem mit teuren Samtkissen gepolsterten Wagen und einer Kiste voller Geschenke. Wenn du einwilligst, können wir die Hochzeit sofort arrangieren! Ich habe ihm die Schönheit deiner Tochter in höchsten Tönen gepriesen. Und stell dir vor: Er hat sogar gefragt, ob Hannah lesen und schreiben könne und neben dem Deutschen und Hebräischen auch das Lateinische in Wort und Schrift beherrschen würde! Und ob sie wohl eine Frau sei, die Freude daran hätte, ihm bei seinen Geschäften zur Hand zu gehen. Wie soll sie sich da langweilen? Ich kann zwar nicht verstehen, warum er einem Weib so viel Verantwortung übertragen will, aber das müsste doch ganz nach deinem Geschmack sein, oder nicht? Er ist belesen und weltgewandt. Ich wette, ihr werdet euch prächtig verstehen.«
    Joseph erwiderte: »Ich komme nicht darüber hinweg, dass du all das einfach hinter meinem Rücken eingefädelt hast! Und nun ist dieser Mann auch schon hier bei uns und wartet frohgemut in deinem Haus darauf, dass ich ihn empfange! Wie konntest du das tun?«
    Hannah war entsetzt. Onkel Nathan hatte eigenmächtig einen Bräutigam für sie herbestellt?
    »Ich musste etwas tun, weil du in der Sache untätig bist! Wir können es

Weitere Kostenlose Bücher