Der Mönch und die Jüdin
klopfte sich den Staub und die Scherben vom Rock. »Das mit der Vase tut mir leid«, sagte sie zu ihrem Vater, der nun in der Tür des Kontors stand. »Ich hole rasch einen Besen und eine Schaufel.«
»Nein.« Joseph schüttelte den Kopf. »Das hat Zeit bis später. Einer der Diener kann es erledigen. Komm herein und schließ die Tür.«
Ihr Vater sah gebeugter aus als sonst und stützte sich mit einer Hand auf sein Pult. Wieder einmal fiel ihr auf, wie sehr er in letzter Zeit gealtert war.
Hannah schämte sich wegen der Vase, noch mehr aber, weil sie gelauscht hatte. »Es … tut mir leid«, sagte sie erneut.
Joseph lächelte. »Ach, nur ein paar alte griechische Scherben. Nichts von Bedeutung.« Er seufzte. »Die Last meiner Jahre fängt an, mir zuzusetzen, Hannah. Es gibt Momente, da fühle ich mich schrecklich müde. Und die Auseinandersetzungen mit meinem Bruder werden auch immer heftiger – aber das weißt du ja. Ich nehme an, du hast unsere reizende Unterhaltung mit angehört?« Er sagte es ohne Vorwurf und zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
»Nun ja, Ihr beide wart so laut, dass ich gar nicht anders konnte.« Sie zögerte einen Moment und fügte dann hinzu: »Ihr werdet aber doch bestimmt nicht auf Onkel Nathan hören? Auf keinen Fall will ich diesen dicken alten Kaufmann heiraten! Warum … wollt Ihr ihn denn überhaupt empfangen?«
Ihr Vater wiegte mit besorgter Miene den Kopf. »Ach, meine Hannah! Was soll werden, wenn ich einmal nicht mehr da bin? Dann übernimmt Nathan das Regiment in der Familie und, glaube mir, er hat keine Skrupel, dich mit dem unangenehmsten Grobian zu verheiraten, wenn es nur seinen wirtschaftlichen Interessen dient.«
Bei der Vorstellung, dass ihr Vater sterben könnte und sie, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester allein zurücklassen würde, spürte Hannah einen Stich im Herzen. Seit sie denken konnte, war Joseph immer für sie da gewesen, und er hatte immer stark und unzerstörbar gewirkt. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es ohne ihn sein würde. Hannahs Augen füllten sich mit Tränen. »Ihr werdet gewiss noch lange in unserer Mitte sein, Vater«, sagte sie leise. »Und Ihr müsst mir sagen, wenn es Euch gesundheitlich nicht wohl ist. Dann will ich noch mehr als bisher im Kontor helfen, um Euch zu entlasten.«
Joseph lächelte melancholisch. Er strich seiner Tochter mit seinen feingliedrigen Händen zärtlich über die Wange. »Ei, ei, meine schöne, kluge Taube! Irgendwann müssen die jungen Vögel flügge werden und das elterliche Nest verlassen. So hat Gott es auf der Welt eingerichtet. Hast du schon in dem Buch gelesen, das ich dir geschenkt habe?«
Hannah nickte. »Glaubt Ihr, ich könnte einen Mann finden, der mich wirklich aus tiefstem Herzen liebt und mich so begehrt wie Ovid seine Corinna?«
Ihr Vater lächelte. »Genau das ist es, was ich mir für dich wünsche, denn du verdienst es, eine solche Liebe zu erfahren. Doch diesen Mann kann ich nicht für dich aussuchen. Den musst du selbst finden, oder dich von ihm finden lassen.«
Hannah seufzte. »Aber meine Welt erscheint mir manchmal so klein. Wie soll er mir da begegnen?«
»Nun, das kann überall geschehen. Vielleicht spaziert er eines Tages hier ins Kontor, oder ihr begegnet euch in der Stadt oder am Hafen. Ich weiß es nicht. Du musst dein Herz befragen und auf Jahwes Führung vertrauen, dann wird es gelingen. Aber warte nicht zu lange! Noch bin ich stark genug, um dich vor Onkel Nathan zu schützen. Er sieht dich als einen Teil des Familiengoldes, den er möglichst profitabel verscherbeln möchte. Wenn er erst das Sagen über die Familie hat, wirst du dich seinem Willen beugen und einen Mann heiraten müssen, den du nicht liebst. Warte also nicht zu lange!«
Hannah atmete erleichtert auf. »Dann wollt Ihr also nicht, dass ich den reichen Kaufmann heirate?«
Joseph schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe dich nicht zu einem frei denkenden, selbständigen Menschen mit eigenem Willen erzogen, um diesen Willen dann zu brechen. Aber die Gesetze der Gastfreundschaft verlangen es, dass wir diesen Mann, der auf Nathans leere Versprechungen hin eine weite Reise unternommen hat, freundlich empfangen.«
Als er Hannahs besorgten Blick bemerkte, lächelte er wieder und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich verkaufen würde, um meine Bibliothek zu retten? Meine seltensten und ältesten Schriftrollen sind mir nicht so teuer wie du. Wie könnte ich mich
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