Der Mönch und die Jüdin
noch an den großen Werken der Literatur erfreuen, wenn ich ihren Besitz damit erkaufen müsste, meine Tochter in die Sklaverei zu schicken? Damit würde ich all jene menschlichen Grundsätze verraten, an die ich mein Leben lang geglaubt habe.«
»Wie steht es denn nun wirklich um Euer Geschäft, Vater?«
Joseph machte eine bedächtige Handbewegung. »Nathan hat mal wieder maßlos übertrieben. Er ist ein unverbesserlicher Pessimist und Schwarzmaler. Ja, wir hatten einige geschäftliche Einbußen. Aber du weißt besser als er, dass ich meine Nase nicht nur in alte Pergamente und Papyri stecke, sondern durchaus auch kaufmännisch zu rechnen und zu handeln verstehe. Außerdem haben wir feste, gute Kunden, auf die Verlass ist, die erzbischöfliche Kanzlei zum Beispiel. Und die Verluste lassen sich ganz sicher ausgleichen, ohne dass ich dafür dich oder Rebekka unglücklich verheiraten müsste.« Er zwinkerte ihr zu. »Und selbst, wenn ich es müsste, würde ich es nicht tun. Es gibt immer einen Ausweg. Man muss einfach nur pfiffig genug sein.«
Hannah musste lachen. Jetzt war er fast wieder der alte – der Vater, auf den immer Verlass war. Wer weiß, dachte sie, vielleicht wendet sich alles zum Guten: Vater bleibt uns noch lange erhalten, und ich finde meinen Ovid.
H IMMLISCHE B OTEN G OTTES
E in Geräusch weckte Konrad aus einem unruhigen, wenig erholsamen Schlaf. Das Feuer war heruntergebrannt, und die Kälte ließ ihn frösteln. Ein anderes Kloster, wo sie um Quartier hätten bitten können, gab es zwischen ihrem Konvent und der Wolkenburg nicht, und so hatte Anselm von Berg sich dafür ausgesprochen, in einer der Herbergen am Fluss zu übernachten. »Ihr beide seid es nicht gewohnt, unter freiem Himmel zu schlafen, und außerdem sind die Straßen östlich des Rheins nicht sicher«, hatte er gewarnt. Doch Matthäus wollte auf keinen Fall in einer Herberge einkehren, denn das seien Häuser des Lasters, in denen ein junger Novize wie Konrad nur unnötig in Versuchung geführt werde, meinte er. So hatten sie schließlich auf einer Waldlichtung etwas abseits der Straße, die rechtsrheinisch durch das Flusstal führte, ihr Nachtlager aufgeschlagen. Konrad war noch nie so lange zu Fuß unterwegs gewesen, und entsprechend erschöpft war er auf sein hartes, unbequemes Lager gesunken.
Noch war es fast dunkel, nur ein Hauch von Helligkeit am Horizont ließ die Morgendämmerung erahnen. Konrad sah Anselms schattenhafte Gestalt neben der Feuerstelle aufragen. Der Mönchsritter war dabei, die Glut wieder anzufachen. Während erste Flammen knisternd emporzüngelten, regte Matthäus sich ächzend. »Was … ist?«, stöhnte er.
»Sschscht«, zischte Anselm. »Wir bekommen Besuch.« Er flüsterte: »Los, hierher zu mir, dicht ans Feuer!«
»Räuber?«, stieß Matthäus gepresst hervor, mit Panik in der Stimme.
Konrads Herz begann zu hämmern. In dieser sündigen Welt stellten Wegelagerer eine ständige Gefahr für alle Reisenden dar, die sich ihrer Haut nicht zu erwehren wussten. Er war sehr erleichtert, dass Anselm von Berg sie begleitete. Anselm bedeutete Konrad und Matthäus, sich mit dem Rücken zum Feuer aufzustellen, so dass jeder in eine andere Richtung schaute. »Wenn sie kommen, greift euch brennende Äste«, raunte er ihnen zu. »Damit kann man sich einen Angreifer recht gut vom Leib halten.«
Mit zitternden Knien spähte Konrad angestrengt in die Dämmerung, bemüht, seine lähmende Angst niederzukämpfen. Doch außer dem Prasseln des Feuers, das jetzt wieder hell brannte und ihm seinen durchgefrorenen Rücken wärmte, war weit und breit nichts zu bemerken. Einige bange Augenblicke vergingen. »Und … wenn es nur ein Reh war?«, fragte Konrad zaghaft.
Anselms Stimme klang amüsiert, als er leise antwortete: »Wer Reisen lebend überstehen will, muss seine Sinne beisammen haben. Ich weiß sehr wohl ein Reh von einem durchs Gebüsch schleichenden Halunken zu unterscheiden. Außerdem sind mir noch keine sprechenden Rehe begegnet. Ich habe diese Kerle miteinander flüstern hören. Wahrscheinlich beratschlagen sie gerade, wie sie die Beute am besten untereinander aufteilen.«
Jetzt fühlten sich Konrads Knie weicher denn je an. Noch nie hatte er im Kloster eine so bedrohliche Situation erlebt. Zwar hatten ihm seine dunklen Träume oft große Angst eingejagt, doch wenn er aufgewacht war, hatte ihn stets die Geborgenheit seiner vertrauten Klosterzelle sicher umfangen.
Er fragte sich, wie viele Männer wohl dort
Weitere Kostenlose Bücher