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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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küssen und zu streicheln, und so romantisch, dass er ihr sinnliche Verse ins Ohr flüsterte. Er musste genau wie sie dem Zauber der Bücher, Pergamente und Papyri verfallen sein, und er musste einer sein, der mit ihr auf Reisen gehen wollte – nicht, um im Blut vermeintlicher Feinde zu waten, sondern einzig und allein aus Neugierde auf die Schönheit, die Rätsel und die Wunder der Welt.
    Quam castigato planus sub pectore venter!
quantum et quale latus! quam iuvenale femur!
singula quid referam? nil non laudabile vidi,
et nudam pressi corpus ad usque meum.
cetera quis nescit? { * }
    Hannah klappte das Buch seufzend zu und stellte es an seinen Platz im heiligen Labyrinth der Bibliothek zurück.
    Sie stieg die Treppe zu den Wohnräumen hinunter. In der Küche waren die Köchin und eine Magd mit Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt, und Hannahs Mutter Ruth war mit Rebekka einkaufen gegangen. Hannah ging über den Hof, vorbei an dem plätschernden Brunnen, zum Kontor, um zu schauen, ob sie sich dort nützlich machen konnte. Ihr Vater sagte manchmal, dass ihr der Fernhandel im Blut läge. Und es stimmte: Sie empfand es nicht als Widerspruch, mit Geschick und Klugheit ein Kontor zu betreiben und sich gleichzeitig an schöngeistigen Dingen zu erfreuen. Fernhandel zu treiben bedeutete, mit Menschen aus fremden Ländern in Kontakt zu stehen und aufregende Reisen zu unternehmen und durch exotische Waren den Alltag der Leute zu bereichern. Hannah konnte es kaum erwarten, bis sie endlich zu ihrer ersten Reise aufbrechen durfte. Denn was konnte es für einen Menschen, der das Leben und die Schönheit liebte, Besseres zu tun geben? Vorausgesetzt, man war kein langweiliger, geiziger Erbsenzähler wie Onkel Nathan, der weder die Waren, mit denen er handelte, noch seine Kunden und Geschäftspartner zu schätzen wusste.
    Mit Freude war Hannah bei ihrem Vater in die Lehre gegangen. Sie hatte gelernt, selbst die größten Summen mit Hilfe des Abakus, des Rechenschiebers, zu addieren. Sie verstand sich auf den Umgang mit dem Kerbholz und sie wusste, wie man mit Nadeln und Probierstein den Edelmetallgehalt von Münzen bestimmen konnte. Man brauchte einen scharfen Blick, um durch Vergleichen der Striche, die die Prüfnadel und die Münze auf dem Probierstein hinterließen, auf den Silbergehalt der Münze zu schließen. Es hatte sie viel Zeit gekostet, um es zu lernen, aber inzwischen beherrschte sie diese Kunst ebenso gut wie Joseph selbst – und vielleicht sogar noch ein bisschen besser als er, denn seine Augen hatten in letzter Zeit nachgelassen.
    Inzwischen hätte sie es sich sogar zugetraut, mit Kunden zu verhandeln und Waren selbst zu begutachten und einzukaufen. Natürlich war es für eine Frau schwer, im Handel anerkannt und akzeptiert zu werden, aber es war ihr Traum, in Josephs Fußstapfen zu treten, und sie wusste, dass ihr Vater seine ganze Hoffnung auf sie setzte.
    Als Hannah sich der Tür des Kontors näherte, hörte sie, wie ihr Vater sich drinnen mit Onkel Nathan stritt. Sie blieb stehen, fest entschlossen, das Kontor erst zu betreten, wenn ihr Onkel daraus verschwunden war. Sie ging seitlich des Eingangs hinter einer großen antiken Vase in Deckung, damit Nathan sie nicht sehen konnte, wenn er wie immer mit vor Wut fleckigen Wangen herausstürmte, über die Narretei seines Bruders wieder einmal heftig den Kopf schüttelnd. Dies würde, nach der Lautstärke ihres Wortwechsels zu schließen, nicht mehr lange auf sich warten lassen.
    »Natürlich bist du das Oberhaupt der Familie«, sagte Nathan gerade. »Das will dir ja auch niemand streitig machen. Aber dann werde dieser Verantwortung auch gerecht! Als dein Bruder bin ich zur Hälfte am Kontor beteiligt, vergiss das nicht! Du weißt, dass es um unsere finanziellen Reserven nicht gerade gut bestellt ist. Statt immer wieder sündhaft teure Bücher für deine alberne Bibliothek zu kaufen und dafür ein Vermögen zu verschwenden, solltest du lieber öfter in die Rechnungsbücher schauen!«
    »Alberne Bibliothek!«, wiederholte Joseph empört, und er tat Hannah leid. Was für eine Unverschämtheit von Onkel Nathan, Josephs Lebenswerk als albern abzutun! »Würdest du deine Nase, statt immer nur Geschäftsbücher und die Tora zu studieren, einmal in die Werke in meiner Bibliothek stecken, würdest du vielleicht der Liebe etwas mehr Bedeutung beimessen und verstehen, dass es mir um das Glück meiner Tochter geht.«
    »Das Glück? Das Glück? Du verwöhnst und

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