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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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uns nicht leisten, länger zu warten, Joseph! Begreif das doch endlich. Wir brauchen das Geld! Er ist der reichste Jude von Speyer. Er unterhält Handelskontakte in die ganze bekannte Welt und betreibt eigene Karawanen mit einer eigenen Reiterei als Geleitschutz. Obendrein ist er erfolgreich im Geldverleih tätig. Wie es heißt, macht er sogar gute Geschäfte mit König Konrad und vielen anderen hohen Adligen. Im Vergleich zu ihm sind wir armselige Krämer! Wir könnten nicht nur ein dickes Brautgeld einstreichen, sondern auch noch eine Handelsallianz schmieden. Denk doch mal nach! Er ist allein. Frau und Kinder sind ihm gestorben. Wenn Hannah ihm einen Sohn schenkt …«
    »Pah! Ich habe ihn doch vorhin vor deinem Haus vom Pferd steigen sehen. Er ist ein alter Graubart mit einem Bauch wie ein Salzfass!« Als Joseph das sagte, musste Hannah lächeln und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Ihr Vater würde niemals zulassen, dass sie einen hässlichen, fetten Alten heiraten musste!
    Ungerührt fuhr Onkel Nathan fort: »Gerade das macht ihn besonders interessant. Sein Alter und seine Leibesfülle lassen hoffen, dass ihn innerhalb der nächsten Jahre der Schlag trifft. Dann würde Hannahs Sohn alles erben, und wir bekämen auf diese Weise die Kontrolle über eines der reichsten jüdischen Handelshäuser nördlich der Alpen.«
    »Schweig, Nathan!«, rief Joseph empört. »Du willst ein frommer Jude sein? Was sind das für widerliche Gedanken!«
    »Ich bin Kaufmann, Joseph. Und als Kaufmann braucht man einen Blick für die Realitäten. Die Geschäfte gehen in letzter Zeit nicht gut.« Mit unverhohlener Boshaftigkeit in der Stimme setzte Nathan hinzu: »Wenn wir uns nicht bald eine neue Geldquelle erschließen, wirst du noch deine Bibliothek verkaufen müssen.«
    Joseph ignorierte diese gemeine Bemerkung. Wieder entstand eine unangenehme Stille. Hannah erwartete, hoffte, dass ihr Vater nun sagen würde: Scher dich weg, Nathan! Ich, Joseph ben Yehiel, verstehe genug vom Geschäft, um alle finanziellen Probleme zu lösen, ohne dass ich dafür meine Tochter verschachern muss!
    Doch leise, mit ungewohnt resigniert klingender Stimme sagte Joseph: »Nun gut, es ist, wie es ist. Du hast ihn ohne mein Einverständnis hergelockt, und nun wäre es überaus unhöflich, ihn gar nicht zu empfangen. Komm also morgen Abend mit ihm in mein Haus. Ich will ihn bewirten, wie es sich gehört.«
    »Mehr verlange ich ja gar nicht«, sagte Onkel Nathan, und es klang überaus zufrieden. »Du wirst sehen, er ist ein Mann nach deinem Geschmack. Und wer weiß, vielleicht findet am Ende sogar dein verzogenes Fräulein Tochter Gefallen an ihm.«
    Hannah glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. Joseph wollte diesen dicken alten Mann tatsächlich empfangen, statt Nathans unverschämtem Benehmen ein klares Nein entgegenzusetzen? Für einen Moment sah sie sich in einem palastartigen Haus in Speyer auf weichen Kissen sitzen, in edle Stoffe gehüllt, von Dienerinnen umhegt – und sich zu Tode langweilend. Wollte dieser Mann wirklich, dass sie in seinem Kontor mitarbeitete? Vermutlich behauptete Nathan das nur, um Josephs Bedenken zu zerstreuen. Nein, sie würde dort wie in einem goldenen Käfig leben und ihm einen Sohn nach dem anderen gebären müssen, solange seine Zeugungskraft dafür noch ausreichte.
    Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Joseph ihr das antun würde – und wenn doch, dann … würde sie lieber Selbstmord begehen oder heimlich davonlaufen und niemals zurückkehren. Vor lauter Aufregung machte sie eine unbedachte Bewegung und stieß gegen die Vase, hinter der sie sich versteckt hatte. Als die Vase von ihrem Podest kippte, versuchte Hannah sie festzuhalten, doch sie verlor das Gleichgewicht und fiel mit der Vase vornüber. Mit lautem Getöse zerbrach das Gefäß, und Hannah konnte von Glück sagen, dass sie sich nicht an den Scherben verletzt hatte.
    Die Tür des Kontors wurde jäh aufgerissen und Onkel Nathans vor Wut gerötetes Gesicht erschien. »Sieh da! Deine missratene Tochter! Ich wette, sie hat uns belauscht. Sie kann froh sein, dass ich keine Erziehungsgewalt über sie habe! Ich würde sie windelweich prügeln, so lange, bis sie mir und ihrem zukünftigen Ehemann aufs Wort gehorcht!« Er drehte sich kurz um und sagte: »Dann bis morgen Abend, Bruder.« Mit einem sichtlich zufriedenen Grinsen im Gesicht ging er davon, ohne Hannah eines weiteren Blickes zu würdigen.
    Verwirrt und gedemütigt rappelte Hannah sich auf und

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