Der Mönch und die Jüdin
recht. Konnte man nicht auch im Kloster ein zufriedenes Leben führen?
Konrad hatte erwartet, dass Anselm auf Matthäus' Verteidigung des bescheidenen Klosterlebens mit einer spöttischen Bemerkung reagieren würde, doch der Mönchsritter sagte nur: »Es wird Zeit. Wenn wir vor Sonnenuntergang auf der Burg sein wollen, müssen wir weiter.« Schweigend standen sie auf, und Anselm verstaute ihren Proviant wieder in den Satteltaschen.
Eine Zeitlang setzten sie ihren Weg stumm fort und kamen schließlich an einem wohlhabend und gepflegt aussehenden Dorf vorbei. Wie in Neuwerth schien der Rhein mit seinem Fischreichtum und den fruchtbaren Auen den Menschen auch hier ein gutes Auskommen zu ermöglichen. Konrad schaute in wohlgenährt aussehende, fröhliche Gesichter. Mehr als einmal wurden die Mönche freundlich gegrüßt – von einigen in einem Weinberg gleich neben der Straße arbeitenden Winzern, von einem Schäfer, der mit seiner Herde und zwei schrill kläffenden Hunden ihren Weg kreuzte, und von einem Bauern, der mit seinem Ochsengespann den Acker pflügte.
Matthäus, den das Marschieren stärker anstrengte als die beiden anderen, war ein Stück zurückgeblieben, als der Weg an einer Weide entlangführte, wo zwei junge Frauen – Mädchen fast noch – eine kleine Kuhherde hüteten. Die beiden unterhielten sich lachend. Konrad sah ihre blonden, geflochtenen Zöpfe, die unter weißen Hauben hervorschauten. Die Mädchen trugen die grauen Kleider der Bauern, die sehr neu und ordentlich wirkten und mit bunten, in der Sonne leuchtenden Bändern verziert waren. Man sah den beiden Mädchen an, dass sie keinen Hunger litten. Ihre nackten Arme und Beine waren prall und kräftig, Busen und Hüften wölbten sich rund und üppig unter den Kleidern. Plötzlich stupste die eine die andere an und zeigte in Konrads Richtung. Kichernd tuschelten sie miteinander. Konrad spürte, wie seine Wangen heiß wurden, und schaute betreten zu Boden.
Anselm, der rechts neben ihm ging, das Pferd am Zügel, lachte leise. »Wage ruhig einen Blick, Konrad«, sagte er. »Als Mönch sollte man zumindest wissen, worauf man verzichtet.« Dann tat er etwas, das Matthäus gegenüber sehr unhöflich und respektlos war: Er beugte sich zur Seite und raunte Konrad ins Ohr. »Glaub mir«, flüsterte er, »es gibt nichts, was dich dem Himmelreich näher bringt, als mit einer guten, willigen Frau dein Lager zu teilen. Und wenn Gott das nicht gewollt hätte, dann hätte er die Frauen anders erschaffen.«
Die Weide mit den fröhlichen jungen Kuhhirtinnen war hinter Bäumen verschwunden, und Konrad fühlte sich gleich wohler. »Aber Abt Balduin hat gesagt, dass die Frau von Natur aus viel anfälliger für die Sünde ist als der Mann«, entgegnete er. »Für die Frau gibt es nur einen Weg, ihre Seele zu retten: Das Gelübde ablegen und als Nonne ein keusches Leben führen. Das betont auch Bernhard von Clairvaux in seinen Predigtbriefen oft.«
Anselm schnaubte verächtlich. »So? Glaubst du etwa, dass Gott Fehler macht? Wir alle sind Früchte der fleischlichen Liebe. Und dabei wird sich Gott in seiner Allmacht und Größe doch wohl etwas gedacht haben! Auch Abt Balduin und Bernhard von Clairvaux sind schließlich nicht vom Himmel gefallen, sondern aus dem Schoß ihrer Mütter gekrochen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Und keineswegs alle Kirchengelehrten sind derselben Ansicht wie Bernhard und Balduin. Euer neuer Abt Gilbert findet, dass die körperliche Vereinigung von Mann und Frau keine Sünde ist, solange sie sich gegenseitig lieben und respektvoll miteinander umgehen. Er ist mir zwar noch nie persönlich begegnet, aber ich hatte Gelegenheit, eine seiner Schriften zu lesen, mit denen er den Zorn des Papstes auf sich gezogen hat. Ich bin wirklich gespannt darauf, ihn kennenzulernen.«
Wenn er ehrlich war, musste Konrad sich eingestehen, dass er nicht wusste, welche der beiden Seiten recht hatte. Er hatte noch nie persönlich mit Frauen zu tun gehabt, so dass er sich kein eigenes Urteil erlauben konnte. Er neigte jedoch sehr dazu, Balduin von Wied zuzustimmen. Der alte Abt war ein hochgelehrter Mann und stets um Gerechtigkeit bemüht gewesen. Es gab gewiss gute Gründe dafür, dass er seine Mönche so oft vor dem Umgang mit Frauen gewarnt hatte. Frauen, die nicht das Keuschheitsgelübde der Nonnen abgelegt hatten, konnten Männer durch Zauberkraft in Versuchung führen, das hatte Konrad selbst schon wiederholt erlebt. Gewiss waren hier
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