Der Mönch und die Jüdin
Zisterzienser Bernhard meinst – nun gut!« Anselm machte eine wegwerfende Handbewegung.
Da war er wieder, der arrogante, spöttische Anselm von Berg, der es einem schwermachte, ihn zu mögen, der es verstand, selbst einen lammfrommen Menschen wie Matthäus gegen sich aufzubringen. Zum ersten Mal spürte Konrad, wie ihn eine heftige Wut auf Anselm packte. Diese Wut war stärker als die ängstliche Unsicherheit, die er im Kloster ständig empfunden hatte, wenn Anselm in der Nähe war. »Fulbert hat recht. Ihr … Ihr … stiftet mit Euren Reden nur Verwirrung! Bestimmt … habt Ihr schon mit vielen Frauen Unzucht getrieben!«
Schlagartig änderte sich Anselms Gesichtsausdruck. Er senkte den Blick. »Unzucht? Ja, schon möglich. Aber ich habe auch geliebt.«
Konrad hatte noch nie erlebt, dass die Wut ihn mitriss, ihn die Beherrschung verlieren ließ. Bislang war die Angst vor der Autorität der älteren Mönche immer stärker gewesen. Aber jetzt platzte er heraus: »Liebe? Kann denn jemand wie Ihr, der so verächtlich über alles und jeden spricht, überhaupt wissen, was Liebe ist?«
Für einen kurzen Moment sanken Anselms breite Schultern herab. »Weiß das überhaupt jemand?«, sagte er leise. »Jedenfalls gab es einmal eine Frau, die ich über alles geliebt habe.«
»Ihr … hattet mit dieser Frau …«
»Wir waren verheiratet. Bevor ich Mönch wurde.« Anselm hatte den Kopf wieder gehoben und starrte Konrad aus schmalen Augen an. »Das wirkliche Leben ist voller Widersprüche, auch wenn das manchem Moralapostel nicht in den Kram passen mag.«
»Und dann hat sie Euch verlassen, und Ihr habt erkannt, dass unsere Liebe nur Gott gehören kann. Nur bei ihm finden wir Frieden.« Was rede ich da bloß?, dachte Konrad. Finde ich selbst denn Frieden? Gott spricht nicht mit mir, und nachts quälen mich Träume, die ich nicht verstehe.
Anselms Gesicht verfinsterte sich. »Sie ist tot«, sagte er.
Nach einem kurzen Moment des Schweigens warf er Konrad einen sonderbaren Blick zu. »Ich …«, setzte er an, doch dann verstummte er, wandte sich ab, gab seinem Pferd einen Schlag auf die Flanke, um es anzutreiben, und beschleunigte seinen Schritt.
Konrad war betroffen, und sein Wutausbruch tat ihm leid. Bislang hatte er wenig über Anselms Vergangenheit gewusst und sich eigentlich auch nicht dafür interessiert. Konrads Kindheit im Kloster hatte bei ihm den Eindruck erzeugt, dass Mönche ihr ganzes Leben lang Mönche waren und dass sie gewissermaßen schon in ihrer Kutte auf die Welt kamen. Er hatte nie viel darüber nachgedacht, dass es bei manchem der älteren Mönche ein Leben vorher gegeben haben musste. Anselm war also verheiratet gewesen. Vielleicht trauerte er ja noch immer um seine Frau und war deshalb häufig so unausstehlich.
Da ertönte hinter ihnen ein gequält klingender Ruf. Matthäus. Konrad blieb stehen und schaute sich um. Der dicke Kellermeister war ein ganzes Stück weit hinter ihnen zurückgefallen. »Wartet auf mich! Ich brauche eine Pause!«, rief Matthäus keuchend und wischte sich mit dem Ärmel seiner Tunika den Schweiß von der Stirn.
»Schade, dass unsere Reise nur knapp zwei Tage dauert«, sagte Anselm kopfschüttelnd und blieb ebenfalls stehen. »Nach einem Monat hätte er bestimmt einen großen Teil seines Gewichts weggeschwitzt und könnte besser mit uns mithalten.«
Sie pausierten im Schatten eines Baumes, tranken Quellwasser und aßen Nüsse und Rosinen. Anselm starrte schweigsam vor sich hin. Jetzt, wo er saß und etwas essen konnte, erholte sich Matthäus. Er lächelte Konrad sogar aufmunternd zu. »Ein paar Stunden noch, dann haben wir es geschafft«, sagte er. »Und in drei, vier Tagen sind wir wieder zu Hause. Vermisst du nicht auch schon unsere Küche und den Kräutergarten daheim im Kloster?«
Konrad erwiderte das Lächeln und nickte.
»Ich weiß doch, wie gern du mir in der Küche zur Hand gehst und wie viel Freude dir die Gartenarbeit macht«, sagte Matthäus. »Du hast ein ausgezeichnetes Gespür für Pflanzen. Wir haben bisher schon sehr gut zusammengearbeitet. Ich würde mit Freuden mein ganzes Wissen an dich weitergeben. Du wärest bestimmt ein hervorragender Koch und Cellerar. Ich spüre allmählich die Last des Alters. In ein paar Jahren werden meine Knochen morsch sein. Dann kannst du meinen Platz einnehmen.«
»Hört, hört!«, sagte Anselm von Berg. »Für einen Novizen von … nun ja … zweifelhafter Herkunft ist es wahrlich ein verlockendes Angebot, Koch in
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