Der Mönch und die Jüdin
Anselm stand auf und steckte das Schwert in die Scheide zurück. »Los jetzt!«, sagte er in rauem Ton. »Packt eure Siebensachen zusammen! Es ist Zeit aufzubrechen.«
Anselm führte sein Pferd am Zügel, und Matthäus und Konrad gingen hinter ihm her. Konrad fand es bemerkenswert, dass der Mönchsritter es sich nicht oben im Sattel bequem machte, sondern mit ihnen zu Fuß ging. So hatte er es auch gestern schon den ganzen Tag gehalten, ohne darüber ein Wort zu verlieren. Die Abneigung, die Konrad im Kloster gegenüber Anselm von Berg empfunden hatte, wich allmählich einer gewissen Sympathie. Anselms Verhalten schien sich verändert zu haben, seit sie das Kloster hinter sich gelassen hatten. Es war, als sei eine Last von ihm abgefallen. Vielleicht war er einfach nicht geschaffen für ein Leben hinter Klostermauern, sondern brauchte die Weite des Landes, das Unterwegssein.
Hinzu kam, dass Konrad Bewunderung für Anselms Mut und das Geschick, das er bei ihrer Verteidigung gezeigt hatte, empfand. Konrad fragte sich, ob auch er es lernen könnte, so zu kämpfen wie Anselm. Dann könnte ich furchtlos in der Welt herumreisen, dachte er. Aber er verwarf den Gedanken sogleich wieder. Anselm war stark wie ein Bär, er selbst jedoch schmächtig, mit dünnen Armen und Beinen. Er hatte noch nie ein Schwert oder eine andere Waffe in den Händen gehalten, und vermutlich waren Schwerter für ihn sowieso viel zu schwer.
Als sie eine Weile marschiert waren und die Sonne inzwischen schon recht hoch am Himmel stand, sagte Matthäus, der noch immer arg mitgenommen wirkte, er müsse jetzt unbedingt etwas essen, sonst könne er keinen Schritt weitergehen. Anselm schien erst zu einer mürrischen Erwiderung ansetzen zu wollen, aber dann hellte sich sein Gesicht auf, und er lächelte sogar. »Nun, das kann ich natürlich nicht verantworten«, sagte er. Konrad, der in Gedanken versunken war, merkte plötzlich, dass sich auch in seinem Bauch der Hunger regte. So war er erleichtert, als Anselm seinen Hengst an einen Baum band. Sie setzten sich neben dem Weg ins Gras, aßen Brot und Käse und tranken dazu aus ihren kurz zuvor an einem Bach aufgefüllten Wasserflaschen.
Die grausige Begegnung mit den Räubern verblasste bereits wie ein nächtlicher Alptraum. Unter strahlend blauem Frühlingshimmel lag die Flusslandschaft in der Sonne, Vögel zwitscherten in den Bäumen, und Konrad erblickte einen ersten Zitronenfalter. Die schreckliche Gefahr, in der sie geschwebt hatten, schien jetzt sehr fern.
Da spürte Konrad, dass Anselm, der seinen Anteil des dunklen, von den Mönchen selbst gebackenen Brotes und des würzigen Käses bereits verzehrt hatte, ihn aufmerksam anschaute. »Hast du eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, auf Reisen zu gehen und dir fremde Länder anzuschauen, Konrad?«, fragte er. »Wie du gesehen hast, kann man die Gefahren der Straße durchaus überleben. Man muss nur verstehen, sich zu verteidigen. Jeder kann lernen, sich im Kampf zu behaupten, auch du. Wenn du den nötigen Mut aufbringst, steht dir die ganze Welt offen.«
Wenn Konrad ehrlich mit sich war, musste er zugeben, dass er schon einige Male daran gedacht hatte, das Kloster zu verlassen. Oft packte ihn eine so unstillbare Neugierde, dass er kaum noch ruhig sitzen konnte. Aber war diese Neugierde nicht selbstsüchtig? Stand sie nicht im Widerspruch zur Frömmigkeit Fulberts oder Balduins? Andererseits – konnte es eine Sünde sein, umherzureisen und sich Gottes Schöpfung mit eigenen Augen anzuschauen? »Ich weiß es nicht«, sagte Konrad zögernd. »Wenn, dann fühle ich mich dafür noch zu jung. Später vielleicht.«
»Warte nicht zu lange. Manche Leute verschieben ihr ganzes Leben auf später, bis sie irgendwann feststellen, dass dieses Später überhaupt nicht existiert und sie ihre Gegenwart vergeudet haben.«
Nun wandte sich Matthäus an Anselm. Wenn man ihm etwas zu Essen vorsetzte, kam er rasch wieder zu Kräften. »Ich kann wirklich nicht verstehen, warum das Leben im Kloster vergeudete Zeit sein soll«, widersprach er dem Mönchsritter. »Und um mir Gottes Wunder anzuschauen, muss ich nicht in der Welt herumreisen. Da gehe ich einfach in unseren Kräutergarten. Wenn die Kamille blüht und der Thymian duftet, fühle ich mich Gott sehr nahe.«
Als Konrad ihn das sagen hörte, wurde ihm wieder einmal bewusst, wie gern er den dicken Mönch hatte. Matthäus war der einzige wirkliche Freund, den es bislang in seinem Leben gab. Und gewiss hatte er
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