Der Mönch und die Jüdin
Schmerz in die Augen schossen. Aus dieser Perspektive schien ihm das Pferd so riesig wie ein vierbeiniger Berg.
Anselm sprang vom Zaun herunter, kam und half ihm auf. »Das Problem ist nicht das Pferd, Konrad«, sagte er, »das Problem ist deine Angst. Das Pferd spürt deine Angst, und das macht es unruhig. Los! Versuch es gleich noch einmal. Und halte diesmal deine Beine locker, dann wird es schon gelingen.«
Aber Konrads Knie zitterten, und Tränen liefen ihm übers Gesicht. »Ich kann es nicht«, sagte er leise. »Ich gehe mit Matthäus ins Kloster zurück.«
»Benimm dich nicht wie ein Narr!«, herrschte Anselm ihn an. »Bist du etwa lahm? Oder ein beinloser Krüppel? Du hast gesunde Arme und gesunde Beine. Du kannst reiten. Du musst es nur wollen!«
»Ich glaube, so geht das nicht«, sagte eine sanfte, wohlklingende Stimme vom Rand des Reitplatzes aus. Dort stand Brigid und schaute Konrad an. Er blickte beschämt zu Boden.
Wolfram verneigte sich. »Verzeiht, Herrin, ich habe das gutmütigste Pferd im ganzen Stall für den Herrn Konrad ausgesucht, aber …«
Brigid lächelte. »Wolfram, ich weiß, Ihr gebt Euer Bestes, wie stets. Doch ich denke, ich werde diese Sache übernehmen. Immerhin hat mein geliebter Mann leichtfertig seinen guten Namen verwettet, und wir wollen doch nicht, dass er ihn verliert.« Sie zwinkerte Konrad zu. Er versuchte, ihr Lächeln zu erwidern, aber es gelang ihm nicht recht. Seine Mundwinkel zitterten.
Brigid, die wieder ihre grüne Jägerkluft trug, ging zu Wolfram, nahm die Zügel und führte das Pferd vom Platz. »Komm mit mir, Konrad.« Sie winkte ihm zu. »Noch bevor heute Abend die Sonne untergeht, wirst du reiten können, als wärest du auf dem Rücken eines Pferdes geboren.«
Konrad zögerte und schaute Anselm unsicher an. »Worauf wartest du?«, fragte der Mönchsritter. Er deutete eine höfliche Verneigung in Brigids Richtung an. »Ich weiß, wie gut die edle Dame reiten kann, und ich zweifle nicht daran, dass ihr Pferdeverstand so groß ist wie ihr Heilwissen. Du solltest dich glücklich schätzen, von ihr lernen zu dürfen. Die sanfte Weisheit einer Frau vermag oft viel mehr auszurichten als die ungeduldige Härte der Männer.«
Konrad suchte in Anselms Worten nach der üblichen Ironie, doch der Mönchsritter wirkte ungewohnt ernst, fast ein wenig feierlich. Man spürte, dass er für Brigid echte Hochachtung empfand, obwohl er doch sonst so gern über alles und jeden seinen Spott ausgoss.
Konrad folgte Brigid. Als sie mit Vagabundus davongingen, machten die jungen Kerle Anstalten, ihnen zu folgen, offensichtlich in der Erwartung, sich weiter amüsieren zu können. Brigid sagte jedoch mit fester Stimme, die keinen Widerspruch duldete: »Nein, ihr nicht! Niemand darf uns folgen. Wir gehen allein.«
Einer von den Männern, die auf dem Baumstamm saßen, zischte leise aber unüberhörbar: »Das ist für diese weibische Heulsuse von einem Mönch genau das Richtige, dass ihn ein Weib Reiten lehrt!«
Ehe er sich versah, hatte Wolfram ihm ins Gesicht geschlagen. »Maul halten, Krötensohn!«, brüllte der Reiterhauptmann. »Du wirst heute allein die Ställe ausmisten! Das wird dich Respekt lehren!«
Konrad hatte das Geschehen erschrocken beobachtet. Jetzt berührte Brigid ihn sanft am Arm. »Komm. Diese rauen Kerle müssen manchmal hart angefasst werden, damit sie gehorchen.«
Vorbei an den Torwächtern, die sich vor Brigid verneigten, gingen sie hinaus in die offene Welt jenseits der mächtigen Mauern. Brigid führte Vagabundus bergauf, um die Burg herum. Sie schwieg die ganze Zeit, und Konrad wagte nicht, von sich aus zu sprechen. Diese für ihn völlig unvertraute Nähe einer Frau verwirrte ihn zutiefst. Brigid hatte ihr langes Haar hochgesteckt. Er ging zwei, drei Schritte hinter ihr und sah die fließenden Bewegungen ihrer runden Hüften. Das war so völlig anders, als ein Mann sich jemals bewegen würde. Über einen geheimnisvollen Zauber verfügten weltliche Frauen auf jeden Fall, er war sich nur nicht mehr so sicher, ob dieser Zauber wirklich böse und dämonisch war. Vielleicht gab es ja Ausnahmen von dieser theologischen Regel.
Brigid blieb stehen, seufzte und atmete tief durch, so dass ihr Busen sich hob und senkte. Konrad blickte schnell in eine andere Richtung, konzentrierte sich auf die Wiese, wo erste Frühlingsblumen aufblühten. »Schau, Konrad«, sagte sie, »dort vor uns beginnen die großen, weiten Wälder! Und hinter uns im Tal schimmert der Fluss in
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