Der Mönch und die Jüdin
Christen hierherkamen.«
»Aber die Menschen, die damals hier lebten, waren doch Heiden! Sie kannten das Wort Gottes nicht. Sie waren wie Blinde. Erst nachdem sie sich zum christlichen Glauben bekehrt hatten, sahen sie das Licht und die Gnade. Warum sollte also ihr Wissen für uns irgendeinen Wert haben?« Doch schon in dem Moment, als Konrad diesen Gedanken ausgesprochen hatte, wurde ihm bewusst, wie widersprüchlich das war. Warum wurden sogar in den Klosterbibliotheken Schriften aus der heidnischen Antike aufbewahrt und kopiert, wenn sie keinerlei Wert besaßen? Andererseits gab es in der Bibliothek von Neuwerth keine antiken Schriften, weil Balduin daran nie interessiert gewesen war. Und Bernhard von Clairvaux hatte es wiederholt für unzulässig und häretisch erklärt, sich theologisch auf Schriften zu berufen, die aus vorchristlicher Zeit stammten.
Brigid seufzte. »Es verwundert mich nicht, dass ein Mensch, der im Kloster aufgewachsen ist, so denkt. Trotzdem existiert ein uraltes Wissen darüber, welche Pflanzen Heilung bringen. Dieses Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben und ist weder heidnisch noch christlich. Es ist einfach mit dem Land verbunden, mit den Pflanzen, die hier bei uns wachsen. Und weil wir Menschen aus dem Schoß des Landes, aus dem Schoß der Natur hervorgehen, sind wir auch mit den Pflanzen verbunden. Man kann dieses Wissen nutzen, um Menschen zu helfen, die krank sind. Kranken zu helfen ist ein Gebot der Barmherzigkeit. Und die Mönche arbeiten mit den gleichen Pflanzen, die von den kräuterkundigen Frauen seit unzähligen Generationen genutzt werden. Aber sie kultivieren diese Pflanzen und bauen sie in den Klostergärten an. Nach meiner Erfahrung und der Erfahrung meiner Lehrerin schwächen sie dadurch die Heilkraft der Pflanzen. Ein in der Wildnis gesammeltes Kraut ist viel wirksamer als ein gezähmtes, im Garten kultiviertes.«
War dann Matthäus' mühevolle Arbeit ganz unsinnig? Nein, das konnte nicht sein! Hier irrte sich Brigid bestimmt, aber als Frau wusste sie es wahrscheinlich nicht besser. »Deine Lehrerin? Du bist von einer Frau ausgebildet worden?«
Brigid zuckte die Achseln. »Was ist daran Besonderes? Das Wissen um die Heilkräfte der Natur steht allen Menschen offen, die sich dazu berufen fühlen. Dem Kraut ist es egal, ob es von einem Mann oder einer Frau gesammelt wird, um einen heilenden Trank daraus zu bereiten.«
»Der Sänger Hartmann hat mir erzählt, dass du einen seiner Musikanten geheilt hast.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich heile niemanden! Gott oder die Natur heilt. Ich bin dabei nur Helferin, Dienerin.« Als sie das sagte, strahlte sie eine zu Herzen gehende Bescheidenheit und Demut aus.
»Bei uns im Kloster habe ich viel Schlechtes über dich gehört. Du seiest eine böse Zauberin und kämest aus den dunklen Wäldern« – Konrad zeigte unbestimmt auf das Meer aus Bäumen im Osten – »vom Volk der wilden Leute.«
»Ach, ich kenne die Märchen über die wilden Leute«, entgegnete sie. »Das sind Märchen, die man kleinen Kindern erzählt, damit sie nicht allein in den Wald gehen. Konrad, alle Menschen hier in unserer Heimat sind einst wilde Leute gewesen. Meine Lehrerin hat mir erzählt, dass unsere Ahnen den Wald nicht fürchteten. Sie liebten die Wälder und lebten frei und glücklich in ihnen. Die Bäume waren ihre Freunde, spendeten ihnen Nahrung und wurden zum Dank in Waldheiligtümern verehrt. Doch diese Zeit ist lange vorbei.«
»Dann lebt heute niemand mehr dort?«
»Heute fürchten die Menschen den Wald und seine Geschöpfe. Sie wohnen lieber in festen Siedlungen, Burgen und Städten. Nur die Jäger, Holzfäller, Schweinehirten und Honigsammler gehen noch in den Wald, alle anderen meiden ihn. Diese Fremdheit ist leider der beste Nährboden für dumme Märchen. Natürlich gibt es hier und da Gesetzlose, die sich in die Wälder geflüchtet haben, weil sie ein Verbrechen begangen haben oder fälschlicherweise eines solchen beschuldigt wurden. Solche unglücklichen, entwurzelten Menschen mögen Auslöser für das ein oder andere Ammenmärchen sein, besonders wenn sie verwahrlost sind und vielleicht ein wirres, sonderbares Benehmen zeigen.«
Was Brigid sagte, klang vernünftig. Es beeindruckte ihn, dass sie nicht dumm war, sondern so kluge Dinge sagen konnte wie ein Mann. Sie war wirklich ganz anders, als Balduin und Fulbert ihm die Frauen geschildert hatten! Vielleicht waren die Geschichten über die wilden Leute
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