Der Mönch und die Jüdin
kann«, berichtete er. »Brigid hat getan, was in ihrer Macht stand, um den Mann zu retten. Doch hier konnte auch die größte Heilkunst nichts mehr ausrichten. Er ist soeben gestorben.«
»Wie traurig«, sagte Konrad.
Einen Moment standen sie schweigend nebeneinander und schauten hinaus in die mondhelle Nacht. Dann sagte Anselm: »Weißt du, ich empfinde große Hochachtung für Brigid. Wie sie um das Leben des Botenreiters kämpfte, hat mich tief beeindruckt. Sie ist eine ausgezeichnete Heilerin und verfügt über großes Wissen. Dabei zählt sie erst zwanzig Lenze! Ich glaube, die Heilkunde liegt ihr wirklich im Blut.«
»Ich dachte, nur Mönche verstünden etwas von der Heilkunst.«
Anselm seufzte. »Ach, Konrad, du hast ja fast dein ganzes Leben im Kloster verbracht und weißt es nicht besser. Die Heilkunde ist schon viel, viel älter als das christliche Evangelium. Doch Menschen wie Brigid, die dieses alte Wissen lebendig erhalten und anwenden, werden immer wieder von dummen, engstirnigen Leuten verleumdet und verfolgt, ja sogar ermordet. Das ist ein großes Übel, das einen wirklich zutiefst traurig machen kann. So, ich genehmige mir jetzt eine Mütze voll Schlaf. Gute Nacht.« Er klopfte Konrad auf die Schulter und ging hinaus.
Ermordet. Die Frau in seinem Traum war ermordet worden, von einer wütenden, hasserfüllten Menge. Hatte Brigid nicht etwas an sich, was dieser Frau ähnelte? Kam die junge Burgherrin ihm deshalb so seltsam vertraut vor? Er wusste es nicht. Die Mauer in seinem Kopf war so hart und undurchdringlich, dass es schmerzte. Seufzend massierte er sich die Schläfen.
Dann schloss er die Fensterläden und kroch fröstelnd ins Bett. Das war kein Strohlager wie in seiner Zelle im Kloster, sondern ein echtes Bett mit frischgewaschenen, aus einem schweren Leinenstoff gewebten Laken, die nach Lavendel dufteten. Und dazu gab es eine behagliche Überdecke aus weicher, warmer Schafwolle!
Im Zimmer nebenan schnarchte Matthäus laut vor sich hin. Voller Unbehagen dachte Konrad an den Botenreiter. Still schickte er ein Gebet für die Seele dieses armen Mannes zum Himmel. Wie unsicher das Leben außerhalb des Klosters doch war! Überall lauerten Gefahren.
Ihm fiel wieder ein, was ihm am nächsten Tag bevorstand. Reiten lernen? Wie sollte er das schaffen? Bestimmt würde er sich vor all diesen rauen Männern furchtbar lächerlich machen. Aber Gilberts Angebot ausschlagen? Mit Matthäus feige ins Kloster zurückgehen? Unmöglich. Was sollte ihr neuer Abt dann von ihm denken? Und wenn er erst einmal zurück im Kloster war, wenn er wieder tagaus, tagein Briefe kopierte und im Kräutergarten Unkraut jätete, würde sich ihm vielleicht niemals wieder die Gelegenheit bieten, Köln mit eigenen Augen zu sehen.
Er betete noch das Vaterunser und fiel irgendwann in einen unruhigen Schlaf. Im Traum begegnete er Ludowig, dem Bruder des Burgvogts, und sah dessen grausig entstelltes Gesicht. Dann begriff er erschrocken, dass er gar nicht träumte. Eine hohe, breitschultrige Gestalt ragte neben seinem Bett auf, gespenstisch erleuchtet vom Mondlicht. Die Gestalt beugte sich vor und streckte die Hand aus. Konrad sah schemenhaft die lippenlosen Zähne, die leere Augenhöhle. Panisch wich er zurück, bis er mit dem Kopf gegen die Wand stieß. Ludowig flüsterte mühsam, mit heiserer Stimme: »Konrad.«
Konrad schlug das Herz bis zum Hals. Er wollte um Hilfe schreien, doch Ludowig legte die Hand an den Mund. »Nicht … hab keine Angst.« Die große Gestalt ging rasch hinaus, lautlos wie ein Geist, und schloss behutsam die Tür hinter sich. Zitternd lag Konrad in seinem Bett. Nach einer Weile beruhigte er sich wieder etwas, fand jedoch keinen Schlaf mehr, bis am Morgen die Hähne krähten.
D IE K UNST , OBEN ZU BLEIBEN
A m nächsten Morgen wurde im Rittersaal das Frühstück eingenommen. Es bestand aus Brot, gesalzener Butter, Haferbrei und kaltem Räucherfisch, dazu trank man mit Wasser verdünnten Met. Der Herr und die Herrin, Anselm, Matthäus sowie Sigismund und Wolfram und deren Frauen waren zugegen.
Konrad überlegte, ob er den unheimlichen nächtlichen Besucher erwähnen sollte, zögerte aber, zumal er sich gar nicht mehr sicher war, ob er das Ganze nicht einfach nur geträumt hatte. Er hatte Angst, sich lächerlich zu machen. Schließlich fasste er sich doch ein Herz, schaute Herrn Rainald mutig an und sagte: »Verzeiht, bitte, aber was ist Eurem Bruder Schreckliches zugestoßen, das ihn so furchtbar
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