Der Mönch und die Jüdin
der Sonne wie ein silberner Armreif! Hier draußen fühle ich mich viel freier als hinter den hohen Burgmauern.«
Konrad betete still, um seiner Unsicherheit und Verlegenheit Herr zu werden, die ihm den Mund derart verschloss, dass kein Wort über seine Lippen kommen wollte. »Ja … aber … die Mauern geben doch Schutz«, stammelte er schließlich und fand, dass seine Stimme furchtbar dünn klang.
Brigid lächelte. »Beschützt und behütet zu werden, ist nicht alles. Tief drinnen sehnt sich jedes Menschenherz auch nach Freiheit und Abenteuern.«
Sie gingen weiter und erklommen einen steil ansteigenden Wiesenhang. Die Zinnen der Burg lagen jetzt etwas unterhalb, ragten aus dem weit zum Rhein abfallenden Gelände. Der endlose Wald, der nach Osten hin die Rücken des Siebengebirges überzog wie ein dichter grünschwarzer Pelz, streckte ihnen hangaufwärts seinen düsteren Saum entgegen.
Nun ging es, ehe das Gelände weiter anstieg, hinunter in eine kleine Senke, durch die ein leise dahinplätschernder Bach floss. Hinter dem Bach befand sich ein ebenes Plateau, das vielleicht dreimal so groß war wie der Reitplatz innerhalb der Burganlage. In der Mitte dieses Plateaus blieb Brigid stehen. »So, da sind wir«, sagte sie. »Dieser Platz ist ideal. Hier kann man uns von der Burg aus nicht sehen. Du brauchst also keine Angst zu haben, dass irgendjemand zuschaut und sich über deine Unerfahrenheit lustig macht.«
Das war in der Tat eine gewisse Erleichterung. Aber das Reiten an sich wurde dadurch nicht weniger beängstigend.
Brigid flüsterte Vagabundus leise etwas ins Ohr und sagte dann: »Sitz auf, Konrad! Reiten ist wirklich wunderschön. Mit dem Pferd kannst du viel leichter und schneller reisen als zu Fuß. Denk daran, welche Freiheit du dadurch erlangst. Vagabundus ist kein gefährlicher Feind, vor dem du Angst haben musst. Ihr beide könnt Freunde werden.«
Was Brigid sagte, klang verlockend, doch für einen Augenblick durchfuhr Konrad wieder die Sehnsucht nach der kleinen Welt, die hinter ihm lag, Fulberts strenge Stimme, Federkiel auf Pergament, Unkraut jäten, alles seit Jahren geordnet und beruhigend vertraut. Hatten nicht auch die meisten Tiere einen sicheren Bau, dessen Umkreis sie ihr Leben lang treu blieben?
Aber Gilbert von Nogent wollte, dass Konrad ihn nach Köln begleitete. Konrad würde die große Stadt sehen können – wenn er diese lähmende Angst vor dem Reiten überwand.
Nein, es kam überhaupt nicht in Frage, jetzt zu kneifen! Das hätte bedeutet, mit Matthäus, zu Fuß und von der eigenen Feigheit besiegt, ins Kloster zurückzukehren – als kleiner Küchenjunge, über den die anderen sich lustig machen würden.
Gütiger Gott, steh mir bei! Konrad schaute Brigid an, die ihm ein aufmunterndes Lächeln schenkte. Ganz plötzlich durchströmte ihn eine magnetische Kraft, die nicht aus ihm selbst zu kommen schien, er ging auf Vagabundus zu und schwang sich mit einer einzigen, fließenden Bewegung in den Sattel.
Oben angekommen, versiegte Konrads neu erweckte Kraft für einen Moment. Die flatternde Angst wollte zurückkehren, als Brigid das Pferd langsam im Kreis herumzuführen begann, so dass Konrad auf seinem ungewohnten Hochsitz hin und her schwankte. »Da, sei guten Mutes! Der Wald schickt einen Boten, der dir zeigt, dass du dich auf dem richtigen Weg befindest«, sagte Brigid vergnügt und zeigte mit dem freien Arm hoch in die Luft.
Dort über ihnen schwebte im Wind, der aus dem Rheintal heranwehte, ein Milan. Diese großen, stolzen Vögel mit dem gegabelten Schwanz hatte Konrad schon öfter in der Nähe des Klosters beobachtet. Sich vorzustellen, dass der Wald ihm einen Boten schicken könnte, fand Konrad befremdlich, aber als Boten Gottes wollte er den Milan gern akzeptieren.
Brigid führte das Pferd langsam und geduldig im Kreis, und Konrads Drang, sich mit den Beinen ängstlich an Vagabundus' Bauch festzuklammern, schwand immer mehr. Etwas veränderte sich in ihm, sein Atem wurde ruhiger und freier, und zugleich war er auf nie gekannte Art aufgeregt, als entdecke er eine völlig neue Welt. War es möglich, dass der breite, warme Pferderücken ihm vertraut wurde? »Freunde dich mit dem Pferd an«, sagte Brigid. »Es freut sich über deine Zuneigung. So ein Pferd ist kein bockiger Sklave, den du mit Stockhieben und Sporen zur Arbeit zwingen musst. Wenn du es liebevoll behandelst, gewinnst du einen treuen Freund, der dich bis ans Ende der Welt trägt.«
Konrad blickte nach oben. Der
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