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Der Mörder aus einer anderen Zeit

Der Mörder aus einer anderen Zeit

Titel: Der Mörder aus einer anderen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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konnte dem Taxi
mühelos folgen. Er hielt Abstand. Außerdem fühlte er sich jetzt so sehr als
Chefspion, dass er auch im Wagen den Hut aufbehielt, die Sonnenbrille sowieso.
    Lindenhof-Allee. Endstation.
Die Kids stiegen aus.
    Durchs Fernglas musterte er die
Villa mit den Türmchen und Erkern. War nicht sein Ding. Er hätte ein Penthouse
vorgezogen oder ein Loft (Fabriketagen-Wohnung). Da er jedoch
arbeitsscheu war und auch keine Lehre vollendet hatte, reichte es nur für eine
Untermiete-Bude bei einer zänkischen Rentnerin, die ihm vorschrieb, wann er
aufs Klo durfte. Alles Geld, was er mit Schwarzarbeit verdiente, steckte er in
sein Auto. Und in technischen Schnickschnack.
    TKKG verschwanden in der
Garage.
    Schulken griff zum Handy und
wählte die Kumpane an.
    »Hier Herbert Nocke.«
    »Ich bin’s.«
    »Gerade denken wir an dich. Wo
steckst du?«
    »Ziemlich am Stadtrand. Hübsche
Gegend.«
    »Machst du nen
Wochenendausflug?«
    »Hähäh. Habe die Kids verfolgt,
alle vier. Die sind hier angedockt. Bei ner alten Bude in der Lindenhof-Allee.
Ist, glaube ich, die Adresse von Karl Vierstein.«
    »Die Glockner ist dabei?«
    »Ich sage ja, alle vier.«
    »Und?«
    »Ist unsere Chance. Aber nur zu
dritt. Ich muss im Hintergrund bleiben. Weshalb — das erzähle ich nachher.
Also, in der Zeitung stand, dass Professor Vierstein mit seiner Frau über
Pfingsten nach Israel reist. Ist zwar ein Privatvergnügen. Aber er wird als
Gastprofessor dort an der Uni irgendwas anleiern. Wieder so was von
Völkerfreundschaft auf geistiger Ebene. Kennt man ja, den Kack. Aber
dergleichen steht dann in der Presse.«
    »Die Alten sind also nicht da?«
    »Genau.«
    »Dann ist das tatsächlich
unsere Chance.«
    »Ich bleibe hier und
beobachte.«
    »Gut. Wir kommen mit Pits
Wagen.«
    Das war’s. Schulken legte das
Handy weg.
     
    *
     
    Enttäuschung malte sich auf
alle Gesichter.
    Keine Tageszeitung, dachte Tim.
Kein Katalog. Ein magerer Inhalt.
    »Wo ist die Schokolade?«,
fragte Klößchen ärgerlich. »Die kann sich doch nicht in Luft auflösen. Mäuse
konnten nicht ran. Nicht mal Käfer, Kakerlaken oder Würmer.«
    »Hör auf mit deiner Schokolade!«,
schimpfte Karl. »Die Zeitkapsel ist eine historische Enttäuschung. Das ist viel
schlimmer. Bei ner Zeitkapsel im Fundament eines Gymnasiums wäre das nicht
passiert.«
    »Du bist ganz schön borniert
und eingebildet«, sagte Gaby heftig. »Mit dem Schultyp hat das nämlich gar
nichts zu tun.«
    »Stimmt.« Karl nickte
kleinmütig.« Ich nehme meine unsachliche Bemerkung zurück. Aber ich hatte mehr
erwartet.«
    Tim ließ zischend den Atem
durch seine Wolfszähne ab. Was klang wie das Überdruckventil eines Dampfkessels.
    »Was ist los mit euch?! Spinnt
ihr? Ein Gejammer, ohne überhaupt zu wissen, was wir da haben. Es sieht zwar
nicht attraktiv aus, aber vielleicht ist der Inhalt stark.«
    Es handelte sich offenbar um
einen ziemlich langen, handgeschriebenen Text. Mehrere Seiten, verfasst in der
alten deutschen Schreibschrift Sütterlin. Gaby, Tim und Klößchen haben damit
Probleme. Karl hingegen kann das lesen wie die lateinische Schrift, die ja
allgemein üblich ist — bei uns, in Europa, in der westlichen Welt.
    Vorsichtig nahm Tim die
gefalteten Bogen heraus. Und machte eine Entdeckung, denn darunter lag ein in
weinrotes Leder gebundenes Tagebuch. Goldschnitt die Seiten, Goldprägung auf
der Deckelseite.
    Alles war hervorragend
erhalten.
    »Wahrscheinlich hat der
damalige Schulrektor seine Ergüsse der Nachwelt überliefert«, seufzte Gaby.
»Aber bevor wir die Ohren noch tiefer hängen, setzen wir uns auf die Terrasse
und Karl liest vor.«
    Tim legte die Briefbögen —
offenbar recht gutes Papier — in die Zeitkapsel zurück und ging voran.
    Die Terrasse vor der Villa hat
Südwestlage und ist durch Büsche abgeschirmt. Diese blühenden Ziersträucher
haben sich zwar enorm entwickelt in den letzten Jahren. Aber man kann immer
noch zur Straße sehen, zur Lindenhof-Allee, die der Villa nicht zu nahe kommt,
weil der Vorgarten beträchtlich ist.
    Weiße Gartenmöbel. Sitzkissen
lagen unter dem Vordach. Tim holte Polster für alle, das dickste für Gaby.
    Die Zeitkapsel stand auf dem
Tisch. Diesmal nahm Karl die gefalteten Blätter heraus.
    Er rückte seine Nickelbrille
zurecht.
    »Ich lese einfach mal vor, ja?
Wenn es langweiliger Mist ist, entscheidet die Mehrheit von uns, ob ich
weiterlesen soll oder nicht.«
    »Fang an!«, sagte Tim. »Wir
sind ganz Ohr.«
    Karl räusperte sich.

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