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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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sich natürlich gefragt, ob in diesem Fall die Libération nicht nur ein guter Vorwand gewesen sei. Denn was die zehn verrückten Kerle mit ihren unleserlichen Armbinden angeht – finden Sie erst mal einen Zeugen für die Ereignisse vom 26. August 1944 um drei Uhr früh im Talkessel von Chavailles! Es war also nicht möglich, auch nur einen einzigen von diesen edlen Rächern zu identifizieren! Die Witwe hatte es für angezeigt gehalten, rechtzeitig in Ohnmacht zu fallen, und konnte sich nur an eines erinnern: Alle hatten fürchterlich nach Pastis gerochen!«
    Der Alte hielt in seiner Erzählung inne, als ob ihn das Gewicht seiner eigenen Worte mit der Zeit doch ein wenig niederdrückte. Gerade eben hatte er noch so ausgeglichen gewirkt, ganz im Einklang mit der Welt, und nun hatten sich Kummerfalten rings um seine Augen eingegraben.
    »Mein Gott«, sagte er. »Eine schöne Geschichte erzähle ich Ihnen da! Und ich kann sogar noch einen Orgelpunkt hinzufügen. Können Sie sich vorstellen, dass ich es war – eine ehrliche Haut, um Ihre eigenen Worte zu gebrauchen –, dass ich es war, der diesen faschistischen, schwindsüchtigen Folterknecht auf die Welt geholt hat und gleich nach ihm noch die zehn kleinen Scheißkerle, die ihn mit Hilfe einer Turbine zu Wurstbrät verarbeitet haben? Ganz zu schweigen von Violaine«, fügte er hinzu, »die das vermutlich alles arrangiert hat, um ihr Erbe zu sichern! Ich! Ja, ich! Da habe ich eines Tages ein kleines Etwas hochgehalten, eines von diesen prachtvollen Babys, und habe verkündet: ›Es ist ein Mädchen!‹ oder ›Ein Junge!‹, und alle haben vor Freude gestrahlt! Da soll einer klug daraus werden, aus dieser göttlichen Vorsehung!«
    »O je!«, knurrte Laviolette. »O je!« (Nun war er es, der große Gesten machte.) »Und wenn schon? Sie haben vielleicht Vorstellungen! Wen immer Sie auf diese Welt geholt haben, seine Charaktereigenschaften hatte er von Anfang an mit dabei! Ob das nun der eine oder der andere war.«
    Der Alte nahm verdutzt seine Pfeife aus dem Mund und beobachtete seinen Gesprächspartner aufmerksam.
    »Sieh mal an! Das glauben Sie also?«
    »Ja. Irgendwann bin ich zum Schluss gekommen, dass es so ist.«
    »Na gut! Aber was haben wir beide dann überhaupt damit zu tun?«
    »Wir tun, was wir können«, sagte Laviolette mürrisch. »Was mich angeht, mir bereitet das keine schlaflosen Nächte. Und? Was ist nun mit dieser Familie? Sind Sie fertig mit ihrer Geschichte?«
    Der Alte antwortete nicht sofort. Er spitzte die Ohren, weil von weitem irgendwelche Geräusche vom Pflegeheim zu hören waren. Er schaute interessiert zu den anderen alten Leuten, die von den umliegenden Bänken aufstanden und sich mit ihren klirrenden Stöcken in Bewegung setzten.
    »Hören Sie denn immer noch nicht die Essensglocke?«, fragte der Alte.
    »Nein«, antwortete Laviolette. »Es dauert noch gut eine Viertelstunde.«
    »Die sind immer spät dran«, murrte der Alte. »Vor allem wenn es Bœuf en Daube oder Polenta gibt! Aber bitte … Was haben Sie gerade gesagt?«
    »Ich habe Sie gefragt, ob Sie fertig waren mit diesen Melliflores.«
    »Fast. Allerdings … Diese Ambroisine Larchet, die erst vor kurzem einen so plötzlichen Tod fand, hatte eine Schwester, genau wie ihre Cousine Véronique. Wie Sie sehen, gab es in dieser Familie immer nur Töchter. Da fällt mir ein, die habe ich auch auf die Welt geholt. Eine flatterhafte Blonde, mit Stupsnase und einem herausfordernden Blick, für den alle Männer schwärmten. Sie hat einen Adligen geheiratet. Einen von und zu … Was weiß ich. Er hatte ein Schloss, ein richtiges Schloss! Da drüben, in Esclangon …«
    »Meine Mutter stammt von dort«, sagte Laviolette.
    »Ach wirklich? O Gott! Darauf brauchen Sie sich nichts einzubilden. Und was das Schloss angeht: der reine Horror! Man nennt es Malefiance, das sagt schon alles. Nomen est omen, man kann ihm nicht trauen.«
    »Da haben Sie Recht …«, räumte Laviolette ein.
    »Nun gut, dieser Adlige, das war vielleicht einer. Kaum war er in Pension gegangen – niemand wusste, woher er sie bezog –, da kaufte er sich eine Rückfahrkarte nach Nizza, wo er dann alles im Kasino durchbrachte. Sie haben sich im Zug kennen gelernt, er und Ambroisines flatterhafte Schwester. Es war Liebe auf den ersten Blick. Er sprach zu ihr vom Reiz des gefährlichen Lebens. Ihr Vater war kurz zuvor gestorben. Sie forderte unverzüglich ihren rechtmäßigen Anteil. Ein schönes Sümmchen, das können Sie mir

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