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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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blitzartige Eingebung. Danach nur noch Hirngespinste! Ich kann die Leute noch so anstarren, ich finde nichts mehr. Die Ähnlichkeit ist verschwunden! Können Sie sich das erklären?«
    »Nun, wissen Sie, unförmige, verbeulte Köpfe gibt es hier bei uns wie Sand am Meer. Vielleicht hat einen die Amme als Kind einmal fallen lassen. Manchmal ist man auch mit einem Kopf wie ein Zuckerhut aus dem Schoß seiner Mutter herausgekommen. Wenn die Hebamme daran dachte, hat sie einen wieder in Form gebracht. Meine Güte, so genau hat man das damals nicht genommen.«
    »Schon, aber wenn Beulen und Dellen identisch sind, dann kann man doch wohl von Vererbung sprechen, oder?«
    »Meine Güte! Dann wird es wohl irgendein Nachkomme der Melliflores aus Barles gewesen sein, der Ihnen da über den Weg gelaufen ist.«
    »Nein. Sie sind alle tot. Ich habe mich erkundigt. Es waren zwei Brüder übrig, beide Junggesellen. Eines schönen Tages ist das Dach über ihnen eingestürzt. Einer war auf der Stelle tot, und der andere ist vor zehn Jahren im Pflegeheim von Manosque gestorben. Nein. Abgesehen von den zwei Frauen, die ermordet wurden, gibt es in dieser Familie …«
    »Entschuldigen Sie mal! Sie vergessen die beiden Schwestern. Die Schwester von Véronique, die ältere, sie heißt Violaine.«
    »Ach ja«, rief Laviolette aus. »Die kenne ich.«
    Der Alte musterte ihn von oben bis unten, nachdem er seine Pfeife aus dem Mund genommen hatte.
    »Sie kennen sie? Sie wollen wohl eher sagen, dass Sie sie einmal getroffen haben? Denn was das Kennen betrifft, nicht einmal ich, der ich sie immerhin auf diese Welt geholt habe …«
    »Sie macht einen reichlich exzentrischen Eindruck, in der Tat.«
    Der Alte schüttelte einige Sekunden lang den Kopf, bevor er auf diese Behauptung einging.
    »Exzentrisch? Ich würde lieber sagen, dass ihr Kopf eine ziemlich vollständige Sammlung all der Beulen aufweist, die sich die Melliflores mit ihrer Wesensart über Generationen hinweg in den Schluchten von Barles geholt haben können. Schon mit knapp zehn Jahren ist sie mir durch ihre Gier aufgefallen. Da ist sie zu den Schwestern der heiligen Dreifaltigkeit gerannt und hat die Puppen zertrampelt, die ihre Mutter ihnen als Geschenk für arme Kinder überlassen hatte.«
    »Das ist also die Schwester von Véronique?«
    »Ja. Die Schwester von Véronique Champourcieux. Die älteste Tochter des Lederwarenhändlers Champourcieux. Der bei sich zu Hause übrigens nicht viel zu sagen hatte. Das Gen des Befehlens, alle vererbbaren Charaktereigenschaften wurden bei den Melliflores von den Frauen weitergegeben. Kurzum! Über diese Violaine gibt es nicht viel zu berichten. Man hielt sie ein bisschen kurz, aus allen möglichen, zum Teil recht seltsamen Gründen; sie war ein bisschen hysterisch, ein bisschen mystisch. So wie die meisten Mädchen damals, denen bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr nichts anderes übrig blieb, als sich einen Keuschheitsgürtel umzuschnallen.«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Ich habe sie mit Opiumtinktur behandelt. Was hätte ich sonst machen sollen? Ich konnte ihren Eltern ja nicht freiheraus ins Gesicht sagen, sie sollten sie am besten mit jemandem ins Bett schicken.«
    »Nein«, räumte Laviolette ein, »das konnten Sie ihnen allerdings nicht sagen.«
    »Kurzum! Dieses Mädchen, Violaine, hat also keine Affäre, bis sie den Sohn der Maillards kennen lernt …«
    Der Alte dachte einige Sekunden nach und zog dabei an seiner Pfeife. Er schaute in die Ferne, über die großen Bäume hinweg zu den rötlichen Eichenwäldern, über denen sich die couronne des Dourbes klar abzeichnete.
    »Es war ganz dort hinten«, sagte er schließlich, »an einem Ort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, ein Ort, den Sie sich kaum vorstellen können. Er heißt Chanolles oder Chavailles, ich weiß es nicht mehr. Ein Ort, wo die Bléone allein seit meiner Geburt schon drei Brücken weggerissen hat, als passe es ihr nicht in den Kram, dass Leute dort hingingen, um nachzusehen, was los war.
    Dort hinten also hat sich damals ein Maillard aus Thorame-Haute niedergelassen. Dieser Maillard hatte ein Sägewerk am Ufer der Chanolette geerbt, und er selbst hat ein kleines Wasserkraftwerk gebaut, gleich bei seiner Ankunft, um das Jahr 1895. Ein echter Vorreiter. Er verkaufte den überschüssigen Strom an die benachbarten Weiler. Deshalb galt er als Industrieller. So einfach ist das!
    Nun ist es ja ganz schön, sich irgendwo niederzulassen, wo einem die Energie geradezu

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