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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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in den Schoß fällt, aber dort eine Familie zu gründen, ist etwas ganz anderes. Er hat einen Sohn gezeugt, dieser Maillard, der aussah wie ein wahrer Kümmerling. Ein Kind, das im Schatten herangewachsen war wie eine lange, krumme, weiße Rübe. Und schwach auf der Brust. Ein Jammer! Etwa zehn Jahre lang habe ich auf seine Eltern eingeredet, sie sollten ihn in die Sonne schicken, sonst würde er nicht länger als drei Jahre leben. O Gott! So schnell ist es dann doch nicht gegangen.«
    Er schüttelte lange den Kopf und ließ dabei die Geschichte des Jungen mit der schwachen Brust in seinem alten Gehirn Revue passieren.
    »Das Schicksal«, fuhr er fort, »holt oft sehr weit aus mit seinen Plänen. Eines Tages musste dieses zerbrechliche Wesen etwas Schreckliches mit ansehen. Die vier Arbeiter seines Vaters nämlich, die bis ins Esszimmer vordrangen, um ein wenig mehr Lohn für ihre zwölf Stunden Arbeit am Tag zu fordern. Und sie kamen mit ihren Arbeitsstiefeln voller Sägemehl, mit ihren ausgefransten Pullovern und ihren Hosen, die an den Knöcheln Falten warfen, weil die Hosenträger fehlten.
    Was für ein Anblick für einen Jungen, der im Schatten aufgewachsen ist! Er sollte für immer davon gezeichnet bleiben. Ebenso wie sein Vater, der ihm klarmachen will, dass man niemals etwas Gutes von seinen Arbeitern erwarten kann und der ihn sanft in sein Zimmer schiebt und hinter ihm abschließt. Er sagt ihm, er solle keine Angst haben, er sei schließlich da, um ihn zu beschützen. (Ein bisschen schamlos muss man als Chef einer Firma schon sein, sonst macht man Pleite!) Dieser aufmerksame Vater ahnte natürlich nicht, dass er seinem Sohn mit diesen Worten den Weg zu einem vorzeitigen Tod ebnen würde.
    Kurzum! Diesen Jungen schickt man mit siebzehn Jahren nach Italien. Er soll etwas von der Welt sehen; den schiefen Turm von Pisa, den riesigen Mailänder Bahnhof, eine Meisterleistung des Regimes. Und was sieht er wirklich? Harte Männer, die vorbeimarschieren, mit festem, in die Zukunft gerichteten Blick. Arbeitslose, die man diszipliniert hatte, und die nun auf glänzenden, sauberen Straßen Schwerarbeit verrichteten. Banner, die überall stolz im Wind knatterten; Uniformen von bestem Schnitt; piekfeine Stiefel. Kurzum! Man erkennt ihn nicht wieder, als er zurückkommt! Er selbst hat es mir erzählt, wie er auch mir gegenüber zugegeben hat, dass er seit dieser Reise immer ein Koppel unter seiner Jacke trug, wie andere ihr Büßerhemd, bis er es endlich offen zeigen konnte.
    Ha, so ein Koppel! Aus echtem Leder! Auf ein Mädchen aus gutem Hause, das noch keine Bekanntschaft mit dem bösen Wolf gemacht hat, wirkt so etwas ungemein phallisch. In dieser rückständigen Zeit, als die Theorien Freuds nur in Amerika Anwendung fanden, wurde Männlichkeit oft mit Brutalität verwechselt. Auch Violaine Champourcieux ist diesem Irrtum erlegen. Als sie den Sohn der Maillards sieht, sauber, ordentlich, von unerschütterlichem und dabei wohlhabendem Aussehen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Und dabei hatte er ein Schwänzchen wie ein Komma, wenn Sie verstehen, was ich meine. Mehr Haut als Eichel! Ich spreche als Fachmann; schließlich habe ich ihn mehr als zehnmal untersucht und dabei meinen Augen nicht getraut!«
    Er spuckte verächtlich in den Staub, einen ausgiebigen Strahl Speichel, durch und durch mit Nikotin verseucht.
    »Aber was will man schon gegen so ein Lederkoppel ausrichten? Er war zwar zwölf Jahre älter als sie, aber das sah man ihm nicht an, mager und bleich, wie er war. Und ein Snob dazu! Er wollte, dass sie bei Tennis und Skilauf eine gute Figur abgibt. Er hat ihr ein endlos langes, weißes Auto gekauft. Sie sollte ihm Ehre damit machen!«
    »Sie hat es immer noch …«, murmelte Laviolette.
    »Das wundert mich nicht! Eine Melliflore geht schonend mit ihrem Besitz um! Kurzum! Die Hochzeit wurde pompös gefeiert. Zwei wohlhabende und angesehene Familien verheirateten ihre Kinder. Jedoch mit gesetzlich geregelter Gütertrennung. Denn Violaines Mutter konnte noch so schön Harfe spielen und ihren Blick dabei in die Ferne schweifen lassen, sie blieb doch eine Angehörige der Familie Melliflore und zugleich die Enkeltochter von Rosemonde Rosans, Modistin in zweiter Generation. Sie stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden und zwar mit Schuhgröße vierzig!
    ›Du liebst ihn, er liebt dich; na schön. Ihr heiratet; auch gut. Immerhin hast du dieses und jenes, das musst du bedenken! Darüber hinaus hast du ein

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