Der Mörder mit der schönen Handschrift
ist auch sonst etwas faul.«
»Das müssen Sie sein – zu faul zum Tanzen!«, scherzte Chabrand.
Er drehte sich nach Laviolette um, um sich zu vergewissern, ob sein Begleiter diese Geistreichelei auch zu schätzen wisse. Da geschah es zum ersten und letzten Mal, dass Laviolette den Richter aus vollem Halse lachen hörte. Dieser war nämlich unvermittelt mit dem erheiternden Anblick seines fülligen Gefährten konfrontiert worden. Laviolette trug immer noch seinen Mantel und seinen Schal, aber statt seiner Gesichtszüge stellte er nun dieses Emblem zur Schau, das sich als Firmenschild für eine Metzgerei mit gehobener Kundschaft geeignet hätte.
Verärgert wies Laviolette die Bajadere zurecht: »Worauf warten Sie? Warum kriegt er keine Maske? Was soll denn diese Sonderbehandlung?«
»Ich wollte ihm gerade eine Maske geben«, meinte das Mädchen unbekümmert, »aber er ist einfach zu schön; ich wollte ihn noch einen Moment anschauen!«
Sie schmiegte ihren Bauch an die Hüfte des Richters und setzte ihm auf Zehenspitzen stehend ebenfalls eine von den vorschriftsmäßigen Masken auf, diesmal allerdings mit Zärtlichkeit und einem gewissen Bedauern.
»Wundervoll!«, rief Laviolette aus, der sich bei dem Anblick des Richters das Lachen kaum verkneifen konnte.
»Nun, sind Sie jetzt bereit, mir zuzuhören?«
Er bemühte sich, seiner Stimme den beunruhigten Ton zu geben, der zu dem unguten Gefühl passte, das ihn plötzlich beschlichen hatte, aber mit dem Kalbskopf auf den Schultern, der seine Stimme dämpfte, fiel ihm das nicht leicht. Ebenso wie gerade eben Laviolette war nun auch Chabrand pikiert, dass er andere zum Lachen reizte, und fühlte sich gekränkt. Glücklicherweise enthob ihn das allgemeine Spektakel aller weiteren Fragen. Die Stimmung unter den Gästen beeindruckte und überwältigte ihn. All diese geschmeidigen, nackten Körper, sowohl die männlichen als auch die weiblichen, stachelten seine Libido an und ließen ihn die Orientierung verlieren.
Vor allem wollte er unbedingt zu dieser Art von Göttin gelangen, die ganz allein auf den Steinplatten fast genau in der Mitte der Kapelle stand. Sie bewegte sich kaum und war gleich einer Bienenkönigin in gebührendem Abstand von Vasallen umgeben, die ihr tanzend Bewunderung zollten.
Das Mädchen war wahrscheinlich nicht älter als zwanzig. Der mit Borten besetzte Dolman eines Husaren schnürte ihre Brüste zusammen, doch ab dem Bauchnabel war sie bis zu den Unterschenkeln, die in grünen phosphoreszierenden Stiefeln steckten, vollkommen nackt. Lange grüne, ebenfalls phosphoreszierende Handschuhe reichten ihr bis zum Ellbogen, wo sie in eine Blütenkrone ausliefen. Über ihren wohlgeformten Schultern saß ein Kopf aus Pappmaché, der merkwürdig verformt aussah, als sei er bei seiner Herstellung zwischen zu eng eingestellte Walzen geraten. Es handelte sich um eines dieser länglichen, traurigen und gelblichen Gesichter mit hängenden Augenlidern, wie es die Sänger afrikanischer Heldenepen zu beschwören wissen.
Unterhalb des eng anliegenden Dolmans und über den Stiefeln, in deren leuchtendem Grün sich die Lichter spiegelten, bewegte sich ihr vorgewölbter Bauch lustbetont in kleinen Wellen. Darunter befand sich ein Dreieck von blonden Haaren, mit eng geknüpften Maschen, wie das Kettenhemd eines Ritters. Es strahlte wie ein Weihnachtsbaum, den sich schüchterne Gemüter lieber von weitem ansehen.
Von Zeit zu Zeit wurde diese freudige Verheißung jedoch verdeckt von einer Trommel, die sie vor sich trug und auf der sie mit ihren grün lackierten Fingernägeln mit schnellen harten Schlägen einen Wirbel schlug.
»Das ist Isabelle«, flüsterte Chabrand Laviolette zu. »Ich erkenne sie an ihrem Vlies. Ich habe noch nie ein so schönes gesehen! Noch nie ein so seltsames und gleichzeitig so anziehendes!«
Von diesem Körper, dessen Gesicht unter der verformten Maske verborgen war, ging eine wilde Entschlossenheit aus, die sich stark von der Abgestumpftheit der übrigen Gäste abhob. Eine verzweifelte Entschlossenheit, eine Mischung aus Angst und Herausforderung, die sich durch die Art äußerte, in der sich die Schlägel hoben und senkten, um der Eselshaut der Trommel den Rhythmus der Schamade zu entlocken und eine Panik zu verbreiten, die sich den Figuren mitteilte, in denen sich die Tänzer bewegten.
Manchmal näherte sich ein einzelner Mann tanzend dem in seinem magischen Kreis allein dastehenden Mädchen. Er übermittelte ihr durch seine Bewegung
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