Der Mörder mit der schönen Handschrift
aus Pappmaché, deren Nasenlöcher mit Petersilienblättern garniert waren.
Ein verdrießlich dreinschauendes, wenn auch hübsches blondes Mädchen, wie eine Bajadere in eine Art von Tunika gehüllt, die ihre Nacktheit eher hervorhob als sie zu verhüllen, wachte über die Kälberherde. Sie hielt irgendwelche blaue Zettel in der Hand, die wohl als Eintrittskarten dienten, und warf einen bedauernden Blick auf die Tanzfläche unterhalb der Empore.
Es handelte sich tatsächlich um eine ehemalige Kapelle. Die gotischen Wölbungen und die romanischen Säulen ließen keinen Zweifel zu. Doch inzwischen war die mehr oder weniger glückliche Mischung zweier Baustile, in denen sich die religiöse Inbrunst des Volkes äußerte, durch einen Künstler mit wilden Visionen in Frage gestellt worden. Er hatte alles mit einem Labyrinth aus Rotviolett oder, wie der Richter meinte, Zinnoberrot übermalt. Die Arabesken zeigten Schnecken, Ammoniten, schlecht entrollte Papierschlangen, endlos miteinander verkettete Fragezeichen, die vor allem um die Säulen herum ausgesprochen laszive Stellungen einzunehmen schienen.
Dort unten bewegte sich eine unwirklich anmutende Menge in einem Rhythmus, den nur sie zu kennen schien, der sich jedenfalls nicht näher bestimmen ließ. Keiner in der gesamten Ansammlung – es mochten etwa sechzig sein – schien über so etwas wie einen wirklichen Kopf zu verfügen.
Die Mehrzahl der Tänzer versteckte sich unter den ausdrucksstarken Kalbsköpfen, doch einige wenige waren außerdem als Kriegerwitwen mit schwarzen durchsichtigen Schleiern verkleidet. Wie eine zur Schau gestellte Trophäe schwebte hoch über der Menge der Kopf Ludwigs XVI. in einem Korb voll Kleie auf einem Schandpfahl; die Bourbonennase, die Perücke mit den langen Locken auf beiden Seiten und der gutmütige Gesichtsausdruck dieses harmlosen Königs waren deutlich zu erkennen.
All diese Menschen waren – abgesehen von den übergestülpten Masken – von Kopf bis Fuß nackt, oder zumindest von den Füßen bis zur Taille. Links von dem verdrossen dreinschauenden Mädchen hingen auf drei oder vier Garderobenständern zahlreiche Kleidungsstücke, einige waren bereits heruntergefallen und lagen nun auf dem Boden der Empore. Im ganzen Raum roch es abstoßend nach dem Schweiß von schwer rudernden Galeerensklaven.
Weiter hinten waren unter den Rauchschwaden noch die Überreste eines ländlichen Büfetts zu erkennen; es sah schon nicht mehr sehr appetitlich aus. Man hatte es auf großen Tischplatten angerichtet, die auf Böcken lagen und den Eingang zum ehemaligen Chor verstellten. Aus einigen Salatschüsseln hingen Halstücher heraus. Ekel erregende Kippen von selbst gedrehten Zigaretten schwammen in Kaffeetassen oder lagen wenig appetitanregend verdächtig nah bei den letzten Petits Fours. Alles war verklebt von Rückständen von Limonade und Fruchtsaft, mit denen sich die Gäste begnügten. Andererseits war die Luft getränkt vom süßlichen Duft des Krauts, das den Blick auf neue Welten öffnen soll. Ein Duft, der auf die, die das Kraut verschmähen, noch abstoßender wirkt als der Geruch von Tod und Verwesung.
Von seinem erhöhten Standpunkt aus betrachtete der Richter diesen kläglichen Haufen und suchte mit fein geschultem Gehör dem Lärm, der von ihm ausging, etwas abzugewinnen.
»Bloßes Gesülze«, stieß er ärgerlich aus.
Doch passte auch er, der die tanzende Menge von oben betrachtete, sich dem monotonen Rhythmus an, nach dem sich die Körper bewegten. Er machte zwei schleifende Schritte vorwärts, dann wieder zwei Schritte zurück, wedelte mit seinen langen Armen neben seinen Hüften, wackelte mit seinem mageren Hintern und streckte seinen Unterleib in einer obszönen Bewegung einer nicht vorhandenen Partnerin entgegen, um ihn ihr gleich darauf wieder zu entziehen.
Die Bajadere in ihrem durchsichtigen grünen Schleier nahm ihm zunächst seinen Carrick ab und bat ihn sodann energisch zur Kasse: »Rücken Sie erst mal die zwanzig Kröten raus!«
Sie bezahlten beide. Daraufhin nahm sie Laviolette in die Mangel, befreite ihn von seinem Hut und setzte ihm eine der verbliebenen Verkleidungen auf den Kopf.
Chabrand stand bereits an der Treppe und wartete darauf, sich den Tänzern anzuschließen.
»Wissen Sie, wo wir hier sind?«, schrie Laviolette ihm ins Ohr.
»Bei Verrückten, nehme ich an«, antwortete der Richter gelassen und hüpfte weiter vor sich hin, ganz für sich allein.
»Das sieht jeder, aber außerdem … Hier
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