Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
Vom Netzwerk:
dieser Klapperkiste?«, rief Laviolette laut und unvermittelt.
    »Natürlich habe ich eine.«
    »Ausgezeichnet. Ich übrigens auch.«
    »Sie wirken beunruhigt. Ist es wegen des Regens?«
    Laviolette schüttelte bedächtig den Kopf.
    »Machen Sie sich nur lustig über mich. Ich kann nicht einmal mehr die Berggipfel rechts von uns sehen. Dafür habe ich gerade eine Espe gesehen, die sich ganz merkwürdig aufgebäumt hat, als wolle sie gleich wegfliegen. Und wenn Sie mal für einen Augenblick den Motor abstellen könnten, würden Sie hören, dass das ganze Tal wie vom Klang eines Jagdhorns erfüllt ist. Das ist der Seewind. Wenn meine Sinne mich nicht täuschen, werden wir ein ungewöhnliches Schauspiel erleben: ein Gewitter an Heiligabend.«
    »Wie kommt es, dass Sie in solch nutzlosen Wissenschaften so gut bewandert sind?«
    »Meine Mutter stammte von hier. Und was den Nutzen dieser Wissenschaften anbelangt, so warten Sie mit Ihrem Spott doch bitte bis morgen.«
    Im Licht der Scheinwerfer tauchte plötzlich ein Schild auf, das den Weg nach Esclangon auf seinem schiefen Bergsattel wies. Hinter diesem Namen steckte nicht sehr viel. Am einen Ufer des in verschiedene Rinnsale aufgeteilten Bachs standen ein paar ärmliche, entstellte, nicht ganz fertig gestellte und unverputzte Häuser unordentlich in der Gegend herum. Alte Bagger, Zugmaschinen aus amerikanischen Heeresbeständen, Bulldozer, die wohl schon gegen die Japaner eingesetzt worden waren, verrotteten wild durcheinander im Bachbett und versanken für alle Zeiten in seinem Schlamm. Schon waren ihre Ketten im angeschwemmten Sand und Kies verschwunden. In hundert Jahren würde von allem bestimmt nichts mehr zu sehen sein. Und in tausend Jahren würden die Archäologen wahrscheinlich nur noch rätselhafte verrostete Maschinenteile vorfinden. Die Erde und ihre Wasserläufe warten nur darauf, Zivilisationen zu verschlingen.
    War das wirklich das ganze Esclangon? Diese Reste einer Fehlspekulation, deren ordnungsgemäße Beseitigung zu viel gekostet hätte? Aber nein, dort war ja noch ein Weg, alles andere als eine Straße, eher eine Art von Fahrspur, die, nur ansatzweise geteert, zwischen zwei riesigen Steinhaufen in die Dunkelheit führte, sodass man befürchten musste, sie könnte jeden Moment im Nichts enden. Ohne zu zögern und mit hoher Geschwindigkeit schlug Chabrand mit seinem Klapperkasten aus dem Gruselkabinett diesen Weg ein.
    »Nanu! Sie scheinen sich ja hier bestens auszukennen!«
    »Nun ja …«, antwortete Chabrand. »Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich schon einmal hier war … Ein einziges Mal! Nicht öfter! Aber auch das war schon einmal zu viel.«
    »Vermutlich um zwei Uhr morgens? Und telefonisch herbeigerufen?«
    »Vermutlich«, gestand Chabrand. »Und unverrichteter Dinge wieder weggefahren, wie ich Ihnen bereits berichtet habe!«
    Trotz seiner Ortskenntnis hätte Chabrand beinahe einen nach rechts abbiegenden Weg übersehen, dessen Spurrillen tief in den felsigen Boden eingegraben waren. Der Wagen stieß hart mit dem Fahrgestell gegen einen Einschluss im Kalkstein. Chabrand schaltete widerwillig herunter und fuhr langsam weiter.
    An einem Pfosten, den sie gerade passierten, war oberhalb eines behelfsmäßigen Briefkastens ein Schriftzug auf einem Stück Holz zu erkennen, das von einer Kiste stammen musste. Mâlefiance war dort zu lesen. Der orthographisch nicht ganz sattelfeste Schreiber hatte das erste a mit einem accent circonflexe geschmückt.
    Am Tag war das Anwesen der schönste Fleck auf Erden. Im Norden sah man über einen Kilometer hinweg auf Weideflächen für magere Schafe und Dinkelfelder, die auf den unfruchtbarsten Böden des ganzen Tals wuchsen.
    In tausend Jahren sind durch die Menschen, die das Land zähmen wollten, zahlreiche Steinpyramiden aufgehäuft worden, die nun am Ende jeder Hecke wie Trophäen aufragen, einige von ihnen bis zu zehn Meter hoch. Die Höhe der Felder zwischen den kleinen Begrenzungsmauern war teilweise um einen Meter abgesunken, wegen der vielen Steine, die man herausgeholt hatte. Diese nackte Erde reichte nach Norden bis an den Horizont. Die Grenzen der Felder waren von Pappeln gesäumt, die ganz schwarz aussahen wegen der Raben, die sich auf ihnen niederließen und dem Betrachter fröhlich mit ihren Flügeln zuwinkten. Eine warme Quelle sickerte zwischen ihren Wurzeln aus dem Boden hervor.
    Das Gebäude war auf einem Schuttkegel eines seit tausend Jahren ausgetrockneten Wildbachs errichtet worden,

Weitere Kostenlose Bücher