Der Mörder mit der schönen Handschrift
eine Aufforderung zum Tanz, doch sie wendete das Gesicht aus Pappmaché brüsk von ihm ab. Blieb er hartnäckig, so deutete sie mit ihren Schlägeln vor dem Penis des Mannes das Zuschnappen eines Nussknackers an, worauf dieser sich in schmerzvollen Windungen wieder zurückzog, um bei einem leichter zugänglichen weiblichen Kalbskopf sein Glück zu versuchen. Gleich darauf setzte die Trommel ihren schnellen und heftigen Wirbel fort.
Laviolette legte seine Hand auf die Schulter des Richters.
»Wachen Sie auf! Merkwürdige Dinge erwarten uns.«
»Alles ist immer irgendwie merkwürdig«, antwortete Chabrand in geistesabwesender Verzückung.
»Schon. Aber das hier ist etwas anderes. Haben Sie eigentlich alle Leute vor Augen, über die in Diner de têtes hergezogen wird?«, fragte er völlig unvermittelt.
»Aber natürlich,« gab Chabrand zerstreut zurück.
»Sagen Sie mal, wissen Sie denn überhaupt, wovon ich rede?«
»Na, von Prévert natürlich«, knurrte Chabrand. »Seltsam, die Leute in Ihrem Alter meinen immer, sie seien die einzigen, die noch die Klassiker kennen.«
»Nun gut. Also los, beschreiben Sie mir die Leute.«
»Sie haben vielleicht Ideen!«
Mit seinen langen, um seinen Kalbskopf herumfuchtelnden Armen gab er zu verstehen, dass er vor einer unlösbaren Aufgabe stand.
»Hab ich’s mir doch gedacht! Sie haben alles vergessen! Ich hingegen sage mir dieses Gedicht immer mal wieder auf, weil da alle Typen, denen man so begegnen kann, meisterhaft und vollständig geschildert werden. Aber ich will gehenkt werden, wenn ich dort jemals auf einen Pionier der Grande Armée gestoßen bin, auf einen Kerl mit geknöpften Gamaschen, mit einem Schnurrbart, dessen Enden wie Büffelhörner hochgebogen sind, und der dazu noch eine Schürze aus Schweinsleder trägt.«
»Nein, so etwas kommt dort bestimmt nicht vor. Aber wo zum Teufel haben Sie hier einen solchen Menschen gesehen?«
»Dort hinten, neben dem Podium, auf dem die Musiker stehen. Zwischen dem Büfett und der nördlichen Säule des Kirchenschiffs. Der Mann dort, der keine Maske trägt und völlig bekleidet ist. Nicht viel jünger als ich. Er wiegt sich in den Hüften mit der Anmut eines schon etwas steif gewordenen Tanzbären. Der Mann, der so aussieht wie …«
Er verstummte plötzlich. Als er dem Richter berichtete, was Doktor Pardigon ihm erzählt hatte, hatte er versäumt, ihm die Verkleidung zu beschreiben, mit der Gaétan Melli flore, der Großvater der drei Opfer, als öffentlicher Ausrufer in Digne aufzutreten pflegte. Und genau diese Maskerade trug der Mann in dieser Nacht.
Er schien nur Augen für die grüne Göttin mit dem afrikanischen Fetisch auf dem Kopf zu haben und fixierte die ganze Zeit ihren Bauchnabel. Er rührte sich nicht, er kam ihr nicht näher. Dennoch schien es Laviolette plötzlich, als würde sich auch die Maske des Mädchens dieser Theaterfigur zuwenden. Es schien ihm, als hätte auch sie nur Augen für diesen Fremden. Ja, es kam ihm sogar so vor, als schlüge das Mädchen nur für ihn allein den bedrohlichen Wirbel der Schamade. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dem morbiden Brummen einer Fliege zuzuhören, die vor einem Spinnennetz herumfliegt, in dem sie im nächsten Augenblick zappeln wird.
Merkwürdige erotische Bande schienen sich da zwischen diesen beiden absonderlichen Äußerungen menschlicher Ausgefallenheit zu knüpfen. Standen etwa beide unter dem Einfluss von Drogen?
Die Frage musste sofort geklärt werden, und vor allem galt es, zu dem Mann zu gelangen, ihn an der Flucht zu hindern, ihm die Fellmütze vom Kopf zu reißen, um sich zu vergewissern, ob er nicht womöglich doch diese Dellen und Beulen aufwies, die auf dem Porträt im Pavillon zu sehen gewesen waren. Vor einem Monat noch hatte Laviolette den flüchtigen Eindruck gehabt, dem lebenden Gegenstück dieses Bilds in Barles begegnet zu sein.
Er wollte gerade Chabrand darum bitten, ihm zu folgen, aber die Bajadere am Eingang hatte ihren Kontrollposten verlassen, packte den Richter ohne sich zu zieren und zog ihn hinter sich her die Treppen hinunter zu den Tanzenden. Sie drehte ihn zu sich herum, schmiegte sich an ihn, küsste ihn verliebt auf den Kalbsrüssel und führte ihn zum Podium, auf dem die Musiker gerade darum bemüht waren, sich dem allgemeinen Getümmel anzubequemen.
Laviolette wusste, dass er an diesem Abend nicht mehr auf Chabrand zählen konnte. Er musste sich allein auf sich selbst verlassen, und auch dabei stieß er
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