Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
Vom Netzwerk:
noch merkwürdigere Gestalt auf: Ein Mopedfahrer mit einem unförmigen, tief über den Lenker gebeugten Körper auf einer grauen Maschine mit offenbar verbogenen Rädern und einer Lampe, deren Licht bei jeder Drehung des Rades für kurze Zeit erlosch. Sogar im Schein der Straßenlaterne war das Gesicht des Nachtwandlers in seiner formlosen Blässe nicht zu erkennen, und seine eigenartig ärmliche Kleidung spottete jeder Beschreibung.
    Alle beide überquerten sie – wenn auch im Abstand von einer Stunde – die Esplanade direkt beim Denkmal Pierre Gassendis, ohne dass jemand darauf geachtet oder gar daran Anstoß genommen hätte.
    Die vom Wind abgerissenen welken Blätter der Platanen umhüllten manchmal in Form großer Wirbel die beiden eiligen Passanten in ihrem sonderbaren Aufzug. Sie erschienen vor ihnen wie gespreizte Finger einer Hand, als seien sie Ausdruck einer Kraft, die beauftragt war, sie zurückzuhalten.
    Alle beide steuerten sie auf die Rue de Carmes und die ehemalige Lederwarenhandlung Champourcieux zu. Sie gingen ganz unbefangen an der Polizeidienststelle vorbei, wo der Wachtposten, den Ölofen zwischen den Beinen, L’ Auberge de Peyrebelle las.
    Ohne ihre Schritte zu beschleunigen, marschierten sie am letzten geöffneten Café vorbei, wo die Bedienung, auf professionelle Art um erotische Ausstrahlung bemüht, verträumt eine Untertasse zwischen ihren Brüsten abtrocknete. Ihr gegenüber hielten sich drei brandelles, drei schlappe und erschöpfte Nachteulen, an die Theke geklammert mühsam aufrecht, vor sich einen letzten Kaffee mit Kirschwasser. Sie starrten das Mädchen begehrlich an wie das Gelobte Land und wagten nicht, schlafen zu gehen, aus Angst vor der Nacht, vor der Einsamkeit und vor ihren schwankenden Gedanken.
    Weder die brandelles noch die Bedienung, noch nicht einmal Pernelle Fabre, die Wirtin, die mit gerunzelten Brauen vor der Registrierkasse ihre Abrechnung machte, achteten auf die beiden Silhouetten, die im Abstand von einer Stunde vor ihnen auf der Höhe des Bürgersteigs vorbeiglitten.
    Die bleiche, graue Gestalt war inzwischen abgestiegen und schob ihr Moped.
    In der Ferne erklang das weinerliche Rauschen der Bléone in ihrem ständig rollenden Kiesbett. Direkt am Boulevard Gassendi verdunkelten die großen, vom Wind gebeugten Bäume die Straßenlaternen.
    Schon am Anfang der Allee, sobald man das Portal ohne Gitter durchschritten hatte, konnte man die Brahms-Sonate hören, die der Wind herantrug.
    »Ach du meine Güte!«, rief die Dame in Trauerkleidung mit leiser Stimme, als sie sich eilig auf ihren Pfennigabsätzen näherte. »Véronique malträtiert schon wieder ihr Klavier!«
    An der Fassade der Lederwarenhandlung Champourcieux war noch immer die verblasste Aufschrift in ihrem perspektivisch gemalten Zierrahmen zu erkennen. Wenn man sich darauf zubewegte, begegnete einem das Gebäude mit voller Wucht am Ende der Allee, sobald es aus dem Schatten hervortrat. Es hatte die eigensinnige Stirn eines Lebewesens, das sich von nichts mehr abbringen lässt. Es nahm einen mit seinem abweisenden Wesen und mit dem sparsamen, glanzlosen Aussehen einer ehemaligen Fabrik gefangen. Und doch hatte es in den fünfzig Jahren, in denen es nicht mehr seiner ursprünglichen Bestimmung diente, aus der Hoffnungslosigkeit des Verstaubten eine Art von schönerer Seele zurückgewonnen.
    Nur drei hohe Fenster in der ersten Etage waren beleuchtet. Durch die beiden geöffneten Türflügel unter dem Oberlicht konnte man in den Vorraum sehen.
    »Leichtsinnig wie immer!«, dachte die Witwe. »Wie oft habe ich ihr schon gesagt, dass sie ihre Tür schließen soll! Wenn sie wüsste, was ich weiß …«
    In einem Winkel hing an einer nackten Leitung ein kleines Lämpchen, durch dessen dicke Staubschicht nur ein schwaches Licht auf die Windungen der großen Treppe fiel, die durch das zierliche Treppengeländer mit seinen geschmiedeten Blumen erst ins rechte Licht gesetzt wurden.
    »So etwas von geizig!«, dachte die Witwe. »Bei mir gibt es wenigstens einen Kronleuchter. Natürlich ist er schmutzig! Aber was soll man in fünf Meter Höhe schon dagegen tun? Immerhin ist es ein Kronleuchter!«
    Diese in ständigem Halbdunkel gelegene Treppe war ihr noch nie so recht geheuer gewesen. In einer durchgehenden Spirale ohne Absätze über die drei Stockwerke des Hauses führte sie direkt zum Dach, als habe sich der unbeugsame Monsieur Champourcieux mit der Idee getragen, das Fabrikgebäude aufzustocken.
    Zwischen den

Weitere Kostenlose Bücher