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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Seufzern von Johannes Brahms hörte Véronique das herrische Klappern äußerst spitzer, hoher Absätze auf den Stufen. Die Türflügel des roten Salons standen weit geöffnet; auch durch sie drang das lärmende Brausen der großen Bäume.
    »Verflixt!«, sagte sie sich, »das ist Ambroisine!«
    Unter das energische Klappern der Absätze mischte sich nun das Rascheln üppiger und unbekümmert geknitterter Seidenstoffe.
    »Véronique!«, rief Ambroisine laut. »Véronique! Sind Sie da?«
    »Ich bin da«, antwortete Véronique ruhig. »Sie brauchen sich nicht heiser zu schreien.«
    »Véronique!«, rief Ambroisine weiter, ohne der Antwort Beachtung zu schenken.
    Dann erschien sie plötzlich in der mit Ornamenten versehenen Tür, tiefschwarz inmitten von so viel Rot, unter dem festlichen Licht gleich mehrerer Kronleuchter.
    Sie war eine Frau in den Vierzigern und strahlte im Glanz ihrer Jahre; eher etwas für Kenner und Liebhaber als für Kostverächter. Ihr Körper wies einige jener aufreizenden Schwachstellen auf, die besonders anregend auf jene phantasiebegabten Männer wirken, die mit makelloser Schönheit nicht viel anzufangen wissen.
    Sie ließ sich auf dem ersten roten Sessel nieder, der ihr passend erschien.
    »Puh!«, hauchte sie. »Ich bin gerannt. Sie müssen mich entschuldigen.«
    Véronique drehte sich langsam zu ihr um.
    »Sie werden sich offensichtlich nie ändern«, fuhr Ambroisine fort. »Da sitzen Sie immer noch und geben sich am Klavier mit dem Liebesschmerz dieses teutonischen Bierbauchs ab! Hätte er weniger Bier getrunken, wäre er mehr geliebt worden. Meinen Sie nicht auch?«
    »Sicher!«, antwortete Véronique spitz. »Aber wer hätte uns dann getröstet?«
    »Ah! Trösten. Ja natürlich! Darum geht es! Sich von so einem komischen Musikaster trösten lassen. Ein glänzender Vorwand, um das Leben zu verpassen. Habe ich es etwa nötig, getröstet zu werden?«
    »Ihr Aufzug erweckt zumindest diesen Eindruck«, sagte Véronique, »aber wenn ich so überlege … Sie sind jetzt schon seit zwei Jahren Witwe … Und mein Gott, ich will Sie ja nicht kränken, aber, Sie sehen nicht unbedingt so aus, als ob Sie so untröstlich wären.«
    »Reden Sie bitte nicht von Aufzug! Wenn Sie wüssten, was das kostet … Aber Sie haben ja keine Ahnung davon, wie die Männer auf so etwas abfahren! Ohne all dieses Schwarz – und von Kleidern verstehe ich etwas, das können Sie mir glauben – wäre ich nur eine sinnliche Frau unter so vielen anderen, was selbst in meinem Alter …«
    »Aber Ihr Alter steht dem meinen in nichts nach, meine liebe Ambroisine …«
    »Richtig! Das vergesse ich immer! Sie und ich, wir gehen beide auf die dreiundvierzig zu.«
    »Wir treten sogar schon drauf, auf die dreiundvierzig«, sagte Véronique melancholisch.
    »Aber sehen Sie mich an! Und sehen Sie sich an! Sehen Sie da nicht einen großen Unterschied zwischen ihren dreiundvierzig Jahren und meinen?«
    »Die Ihren sind irgendwie auffälliger«, räumte Véronique ein.
    »Vielleicht! Aber wenn Sie einverstanden sind, könnten wir ja mal einen Wettbewerb austragen. Wir könnten doch einmal an einem der nächsten Abende zusammen ausgehen. Sie in ihrem Kostüm mit dem Hahnentrittmuster – das Ihnen übrigens glänzend steht – und ich in meiner Witwentracht ganz in Seide. Dann werden wir ja mal sehen, ob …«
    »Geschenkt! Ich lege keinen Wert darauf! Ich glaube Ihnen aufs Wort!«
    »Schade! Sie und ich, wir hätten Aufsehen erregt. Und das ist übrigens gar nicht so einfach! Man muss in die Kneipen gehen, kurz bevor sie dichtmachen, und nicht davor zurückschrecken, direkt an der Theke zu bleiben.«
    »Und wozu soll das alles gut sein?«
    »Zum Vögeln! Ja, meine Liebe! Damit müssen Sie sich abfinden, so lautet nun einmal heute die Devise. Wer sich da ziert, kommt überhaupt nicht auf seine Kosten. Keine Frage: Sie haben einen guten Ruf und ich einen schlechten. Das kann ich nicht abstreiten! Aber damit kriege ich die Kerle ins Bett! Fast jede Nacht einen. Na ja, um ehrlich zu sein … in einer von vier oder fünf Nächten. Das müssten Sie auch hinkriegen. Glauben Sie mir, das vertreibt die Angst!«
    »Die Angst?«, rief Véronique aus. »Sie …, Sie haben Angst?«
    Sie biss sich auf die Lippen. Beinahe hätte sie gesagt: »Sie auch?«
    Die Witwe sprang aus ihrem roten Sessel auf, als ob sie etwas gestochen hätte. Sie begann, wild gestikulierend das Klavier und die Sofas zu umrunden.
    »O ja, Angst bis zum Verrücktwerden! Sie

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