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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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eine schaufelt sein Grab, der andere hat nichts anderes im Kopf, als Blutwurst zu machen, die ihn an 1940 erinnert! Und meine Mutter hat Ihnen bestimmt noch nicht alles erzählt: Er weint jedes Mal, wenn er ein Schwein schlachtet, stellen Sie sich das mal vor! Er braucht drei Tage, um sich wieder davon zu erholen! Und das ist immer noch nicht alles. Es gibt zwei Fremde hier. Der eine sieht aus wie ein Bückling und der andere wie Dracula! Und dann sind da noch zwölf Muttersöhnchen, die in Digne den Mädchen nachsteigen. Und schließlich, das hätte ich glatt vergessen, ist da auch noch der Grand Magne, den sich die Félicie geschnappt hat …«
    Die Grimaude zuckte mit den Schultern.
    »Du spinnst, so eine fette Nudel wie die Félicie wird sich so schnell niemanden schnappen.«
    »Die Félicie?«, fragte Laviolette zögernd mit, der Stimme eines kleinen Jungen, »ist das nicht das Fräulein von der Post?«
    »Fräulein!«, kicherte Françoise. »Aber das wäre ja alles noch nicht so schlimm, aber schauen Sie sich doch mal diese Gegend an!«
    Mit einer tragischen Geste zeigte sie auf das, was hinter den geschlossenen Fensterläden und den dicken Mauern lag.
    »Hören Sie nur mal den Wind! Und das allein, immer allein! Allein gelassen mit all dem! Mit all der Begierde rundherum!«
    Sie näherte sich drohend dem Tisch, wo Laviolette friedlich seinen Ysoptee schlürfte, schlug mit der flachen Hand auf die Marmortischplatte und sah ihm geradewegs ins Gesicht, mit einem Blick wie Kassandra, die den Untergang Trojas ankündigt.
    »Haben Sie sie sich gut angesehen, diese Gegend? Malerisch, sagen die Leute! Ich würde sie gern hierher einladen! Drei Tage! Nur für drei Tage! Schauen Sie sich alles gut an! Wie soll man hier auch nicht sein eigenes Grab schaufeln?«
    Laviolette, der sich so wohl fühlte in diesen weiten Fluchten, wo die Erde sich die Leute ängstlich vom Leib hält, um sicher zu gehen, allein Regie in der großen Tragödie zu führen, Laviolette hatte gute Lust, sie zu fragen, worüber sie sich eigentlich beschwerte. Aber er verstand auf einmal, dass aus allem, was sie zu jammern hatte, nur die Sehnsucht nach Liebe sprach und dass es kein Mittel gegen diese Leere gab.
    »Du nervst mich!«, rief schließlich die Grimaude, die schon eine ganze Weile ihren Unmut mit dem Auswringen eines Scheuertuchs abreagierte, das sie in einen Eimer getaucht hatte. »Du nervst mich! Hol dir halt den Lehrer! Der ist schon mal gar nicht so übel, und außerdem läuft er dir nach!«
    »Der Lehrer!«, klagte Françoise.
    Da sie schon seit zwei Jahren jeden Sonntagnachmittag mit diesem methodischen Menschen verbrachte, musste sie wenigstens die Empörte spielen.
    »Du entwürdigst mich!«, zischte sie voller Überzeugung. »Der Lehrer! Meine eigene Mutter! Du würdest mich jedem geben! Ich geh lieber schlafen!«
    Mit großen, geschmeidigen Sätzen bewegte sie ihren asymmetrischen Körper die Treppe hinauf.
    »Puh!«, flüsterte die Grimaude, als sie weg war. »Sie macht mich noch wahnsinnig. Sich so aufzuspielen! Und dabei kann ich ihr noch nicht mal sagen«, seufzte sie, »dass sie, so wie sie gebaut ist, froh sein sollte über jeden, der sie überhaupt will!«
    »Nein«, pflichtete Laviolette ihr bei. »Das können Sie ihr weiß Gott nicht sagen.«
    Die Grimaude schob ihn ein wenig zur Seite mit einem riesigen Holzbalken, den sie vor die beiden Flügel der Tür legte. Genauso verfuhr sie mit den Läden der beiden Fenster. Sie vergaß auch nicht, sorgfältig die Riegel vorzuschieben.
    »Sieh mal an! Die Diebe werden sich umsehen!«
    Die Grimaude machte eine Bewegung mit ihren breiten Schultern.
    »Die Diebe! Meinen Sie etwa, ich würde wegen vier Rotznasen so einen Aufstand machen? Am Kopfende neben meinem Bett lehnen zwei mit Schrot geladene Jagdflinten. Und dazu, aber sagen Sie es ja nicht weiter, habe ich sogar zwei Granaten, die mein armer Mann aus dem Widerstand mitgebracht hat. Er hat mir auch beigebracht, wie man sie auslöst.«
    »Alle Achtung!«, rief Laviolette aus. »Aber … wogegen sind dann die Holzbalken?«
    »Gegen gar nichts!«, sagte sie entschieden. »Schon meine Mutter hat sie benutzt. Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: ›Wenn du in so einer gottverlassenen Gegend lebst, darfst du die Nacht nicht reinkommen lassen!‹ Meine Mutter hat immer Stühle und Tische vor der Tür aufgestapelt! ›Denk immer daran‹, sagte sie zu mir, ›was deinem Großvater zugestoßen ist!‹«
    Laviolette spitzte die Ohren.

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