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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Besitzerin dieser Kostbarkeiten war tief in einem Sessel versunken und in die Lektüre eines unsäglichen Fortsetzungsromans vertieft.
    »Was heißt hier Tic?«, grummelte die Grimaude. »Du bist doch selbst ein Tic, oder? Anstatt hier rumzukritisieren, geh lieber zu unserem Traummetzger und schau, ob der nicht zufällig zwei Kringel Blutwurst hat!«
    »Der hat nie welche!«, brummte das Mädchen, ohne sich zu rühren. »Und außerdem hat er immer zu!«
    »Du musst nur klopfen, dann macht er dir schon auf! Holla, Françoise, mach bitte gefälligst dieses Heft zu und tu, was ich dir sage! Der Gast wartet!«
    Murrend schob sich das Mädchen aus dem Sessel, und es erschien ein Kleid in genauso grellen Farben, wie es schon die Schuhe vermuten ließen. Trotz der fünfundzwanzig Jahre, die sie alt sein mochte, trug sie einen Knoten mit einer Schleife in ihrem strohigen, wirren Haar. Der Charme ihres hellen, länglichen Gesichtes wurde durch zwei schwarze Zähne verunstaltet, die sie oft beim Lächeln entblößte.
    Sie als bucklig zu bezeichnen wäre etwas übertrieben. Ihre ganze linke Seite war einfach gegenüber der rechten ein wenig nach oben verschoben. So, als wäre sie schwimmend aus dem Bauch ihrer Mutter gekommen und in dieser Schwimmbewegung erstarrt. Wenn sie ging, zerteilte sie die Luft neben sich und schob sich vorwärts wie ein Schiff im Meer mit ihrer Schulter als Steven, was übrigens nicht ohne eine gewisse Anmut geschah.
    »Also, was ist?«, sagte die Grimaude. »Gehst du nun zum Traummetzger?«
    »Vielen Dank!«, jammerte Françoise. »Jedes Mal, wenn der mich kommen sieht, leckt er sich die Lippen und wetzt das Messer an seiner Gürtelschnalle!«
    »Gehst du nun oder soll ich dich erst in den Hintern treten?«
    »Oh, schon gut. Ich geh ja schon. Nur … wenn der mich eines Tages vergewaltigt, dann geschieht’s dir recht!«
    »Na und wenn schon. Wenn es soweit ist, werden wir schon sehen, was zu tun ist! Jetzt hau endlich ab, mich juckt es schon im Fuß!«
    Françoise verschwand durch den Jutevorhang. Die Grimaude stürzte hinterher und rief ihr nach: »Und wenn er keine Blutwurst hat, dann soll er dir wenigstens zwei Labmagen geben. Oder ein Steak! Ich muss dem armen Mann hier doch wenigstens irgendwas zum Essen machen!«
    Sie kam zurück und ging zur Küche, heftig in die Hände klatschend.
    »Vergewaltigen!«, rief sie aus, zur Decke gewandt. »Vergewaltigen! Ausgerechnet die!«
    Laviolette erhob sich und folgte ihr.
    »Was ist das für eine Geschichte mit dem Traummetzger?«, fragte er. »Wieso nennen Sie ihn charcutier d’amour? Heißt er so?«
    Die Grimaude brach in Lachen aus.
    »Weiß Gott nicht! Er heißt Crépin Enjolras.«
    Sie hob den Topf mit der Brigadéou-Suppe auf die Kochplatte, um ihn auf kleiner Flamme warm zu machen. Sie steckte den Kopf in den großen Rauchfang des Kamins der Gastwirtschaft. Als ihre Stimme darunter hervorkam, klang sie ein bisschen gedämpft.
    »Sie wollen wissen, warum man ihn charcutier d’amour nennt?«
    »Na ja,« sagte Laviolette. »Ich nehme an, er ist ein Hallodri?«
    »Der! Der ist treu wie ein Hund! Und außerdem, entschuldigen Sie mal! Es ist schließlich kein Verbrechen, ein schöner Mann zu sein!«
    Sie zog den Kopf aus dem Rauchfang heraus und musterte Laviolette von Kopf bis Fuß, um abzuschätzen, ob er es wert war, die Geschichte zu hören, die sie erzählen wollte.
    »Eines schönen Tages«, begann sie, »taucht dieser Crépin vor meinem Tresen auf. Er trinkt zwei Pastis, ohne was zu sagen. Ich hab ihn natürlich schon öfter kommen und gehen sehen, aber ich bin ja diskret und frag ihn nichts. Er fängt selbst an, nach dem zweiten Pastis fragt er rundheraus: ›Wie alt sind Sie?‹ – ›Was geht Sie das an?‹ – ›Es geht mich schon was an!‹ antwortet er. ›Wie alt waren Sie, als der Ange Philibert noch seine Metzgerei hatte?‹ – ›Da war ich zwölf!‹, sage ich und falte die Hände: ›Das hat immer so gut gerochen, wenn man da vorbeigegangen ist!‹ – ›Genau‹, sagt er, ›wie lange haben Sie schon keine Metzgerei mehr gesehen, aus der es so gut gerochen hat?‹ – ›Seitdem nie mehr!‹, antworte ich mit Überzeugung. – ›Na also, da haben wir’s!‹ sagt er. ›Ich hab die Nase voll von diesen Zuständen. Ich mag den Geruch einer Metzgerei im Herbst, verstehen Sie! Und ich bin fünfundvierzig Jahre alt! Und seit ich zehn war, habe ich das nicht mehr gerochen. Also hab ich den Laden vom Philibert gekauft. Ich hab einen

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