Der Mörder mit der schönen Handschrift
weiten, abgetragenen Kleidern steckten. Vor ihnen standen zwei kaum verdünnte Pastis. Laviolette bemerkte ihre bitteren Mienen, ihre eingefallenen Schläfen, die Ringe unter den Augen des einen, die von geplatzten Äderchen durchzogene Nase des anderen. Sie boten den Anblick von Menschen, vor denen das Glück Reißaus genommen hatte, sooft sie es zu packen versuchten. Außerdem verbreiteten sie einen muffigen Geruch, den Laviolette nur zu gut kannte: den Geruch, den kleine Anwälte verströmen, die ihre Robe in Essig und Kaffee legen, um sie zu schwärzen und zum Glänzen zu bringen. Solche Anwälte werden nur von erbärmlichen Delinquenten konsultiert, die in engen Büros, wo sie unfreundlich empfangen werden, diesen Geruch von Essig und ungezuckertem Kaffee annehmen.
»Knastbrüder«, sagte sich Laviolette.
Die beiden drehten sich auch in einer einzigen Bewegung nach ihm um, kippten, nachdem sie ihn gemustert hatten, den Rest ihrer Gläser auf einen Zug herunter und stürzten hinaus. Denn so wie sie nach Knast rochen, so roch Laviolette seinerseits hoffnungslos nach Polizeiwache, ein Geruch, der ebenso wenig wegzukriegen ist.
Die stämmige Grimaude, die aufmerksam sein Kommen beobachtet hatte, trocknete lässig eine Tasse ab. Er grüßte höflich und liebenswürdig, nannte seinen Namen und bat in aller Bescheidenheit um ein Zimmer für die Nacht. Sie wackelte mit dem Kopf, als wollte sie die Berechtigung seiner Bitte anerkennen, aber ihre Antwort lautete klipp und klar nein.
»Das Zimmer ist nicht gemacht und zum Essen habe ich nur für Françoise und mich etwas da.«
»Sei’s drum«, seufzte Laviolette, »wenn das so ist … Geben Sie mir einen Kaffee mit Schuss, und dann werde ich eben nach Digne zurückfahren.«
»Ach?«, stieß die Grimaude hervor. »Sie sind also aus Digne?«
»Natürlich! Sieht man das nicht?«
Sie verzog das Gesicht.
»Nicht so richtig,« sagte sie. »Aber wenn Sie von dort sind, dann ist das was anderes. Vielleicht habe ich noch eine Portion rote Bohnen in Soße und ein bisschen Brigadéou. Ist das recht?«
»Mein Gott!«, stammelte Laviolette. »Ich dachte, das gibt es seit meiner Großmutter nicht mehr!«
»Warum?«, brummte die Grimaude. »Sehe ich etwa so alt aus?«
Sie war schon hinter ihrem Tresen hervorgekommen. Sie erinnerte die Alten daran, dass ihre Frauen zu Hause mit dem Abendessen auf sie warteten.
»Um Gottes willen, ich will kein Theater mit euren Frauen! Und außerdem, bei dem, was ihr so trinkt …«
Sie beförderte sie mit den gleichen Bewegungen ins Freie, mit denen sie mit dem Besen das Sägemehl um den Herd herum zusammenkehrte und neues verteilte, um die Spucke aufzusaugen, die gern dort landete.
»Sie sind also aus Digne?«, wiederholte sie und musterte Laviolette dabei aufmerksam.
»Ja. Und was das ungemachte Zimmer angeht, es wäre nicht das erste Mal, dass …«
»Oh! Machen Sie sich deshalb keine Gedanken!«, sagte die Grimaude. »Françoise wird sich darum kümmern!«
Im Handumdrehen setzte sie ihn an einen Tisch, versah ihn mit Papierservietten und stellte ihm einen Liter bläulichen Weins ungewisser Herkunft zum Trinken hin.
»Wenn man aus der gleichen Ecke stammt, muss man sich doch helfen, nicht wahr?«
Auch sie war sofort hinter Laviolettes Vergangenheit gekommen. Das war auch nicht schwer: Er war als Bulle verkleidet, so, wie sich andere als Harlekin oder Pierrot verkleiden.
Sie ließ sich ihrem Gast gegenüber auf einen Stuhl fallen und betrachtete ihn eine Weile schweigend. Als Kleinkind hatte sie unter Krämpfen gelitten und davon einen recht ungewöhnlichen Tic zurückbehalten, der vor allem dann auftrat, wenn sie sehr erregt oder sehr neugierig war, so wie jetzt gerade. Ohne Vorwarnung warf sie ihrem Gegenüber einen nachdrücklichen, verstohlenen Blick zu und zeigte, begleitet von einem dreimaligen Kopfnicken, nach links oder hinter sich auf ein nicht auszumachendes Zimmer, wohin man sich kurz zurückziehen könnte.
Laviolette, der von diesem Tic nichts wusste, wollte das Angebot gerade höflich ablehnen, als vom anderen Ende des Zimmers eine schrille Stimme unvermittelt kreischte: »Geben Sie nichts darauf! Das ist nur ein Tic!«
Laviolette drehte sich um. Er sah zwei große Frauenfüße in leuchtend roten Pumps mit spitzen Absätzen, die gegen die Platte eines Tisches aus Nussbaumholz gestemmt waren und das Halbdunkel erhellten. Der eine Knöchel war mit einer Kette aus silbernen Glöckchen geschmückt. Die unsichtbare
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